Mathilde Möhring
waren Mantel und Hut draußen abgegeben worden, Thilde hatte drauf bestanden. »Mutter«, hatte sie gesagt, »du weißt doch, daß ich's zusammenhalte. Aber mitunter muß man, und mitunter ist Anständigkeit auch das klügste.«
»Na, wenn du meinst, Thilde. Wir wollen es aber auf eine Nummer geben.«
Jetzt hatten sie sich eingemummelt und stiegen die Treppe hinunter. Unten in der Vorhalle verweilte sich Thilde, weil sie's für möglich hielt, daß ihr Mieter an einer der Barren stehn und auf sie warten würde. Aber er war nicht da. Das gab eine neue Verstimmung, und einen Augenblick überkam die sonst unerschütterliche Thilde die Frage: »Ob ich mich doch vielleicht irre?« Sie war aber, weil sie den Charakter ihres Mieters ganz genau zu kennen glaubte, von einem unvertilgbaren Optimismus oder Hoffnungsseligkeit und sagte sich: er muß natürlich seinen Freund beglückwünschen, und er kann nicht an zwei Stellen zugleich sein.
Erst nach zehn waren sie zu Hause, was nichts schadete, da sie den Hausschlüssel mithatten. »Siehst du, Thilde, wie gut«, sagte die Alte, als sie den Hausschlüssel aus ihrer Tasche hervorholte.
»Ach, Mutter, als ob ich nicht gewollt hätte. Natürlich. Ich dachte ja sogar, wir könnten erst um elfe kommen.«
Auf der Treppe trafen sie den Portier, der eben das Gas ausmachte. »Soll ja sehr schön gewesen sein«, sagte dieser.
»Gott, Krieghoff, wissen Sie denn schon?«
»Ja, meine Ida war auch da; Ida ist immer da. Sie kennt welche von's Theater.«
»Na, das ist recht«, sagte Thilde. »Theater bildet.«
Und damit stiegen Mutter und Tochter höher die Treppe hinauf, während der Portier, in einem Anfall von Wohlwollen, ihnen noch eine halbe Treppe hinaufleuchtete.
Oben sagte Thilde: »Nu, Mutter, wollen wir uns einen Tee aufgießen und warten, bis er kommt. Er wird uns wohl auch noch sehn wollen und hören, ob wir uns amüsiert haben.«
»Ach, Thilde, es war ja doch so graulich. Der alte Mann. Und wie er aussah, wie er da rauskam und der andre gleich rin. Na, da fiel mir 'n Stein vom Herzen. Wenn ich mir denke, daß so einer noch frei rumliefe...«
»Das kann er ja gar nich, Mutter; es ist ja schon so lange her. Und dann is es ja doch auch bloß so was Ausgedachtes. Du denkst immer, es ist wirklich so.«
»Ja, Kind, warum soll ich so was nich denken. Es gibt so viele schlechte Menschen...«
»Ja, ja, erzähle nur nich die Geschichte von dem Kürschnermeister in Treptow; ich weiß ja, daß er seine Frau mit 'm Marderpelz erstickt hat. Aber es gibt auch gute Menschen.«
»Ja, die gibt es auch. Und ich glaube, unser Jetziger hier drüben ist ein guter Mensch.«
»Ja, das ist ein sehr guter. Das heißt, wenn er so ist, wie ich ihn mir denke.«
»Du sagst ja immer, du bist so sicher.«
»Bin ich auch. Bloß mitunter wird einem doch so bange. Aber es geht gleich wieder vorüber.«
Sechstes Kapitel
Die Möhrings hatten bis Mitternacht gewartet und den Tee schon zweimal wieder aufgegossen. Als aber der Mieter noch immer nicht da war, sagte die Alte: »Thilde, was sollen wir soviel Petroleum verbrennen; nu kommt er nicht mehr. Und wenn er kommt, wird er wohl auch nicht wollen, daß wir ihn so in seinem Zustand sehn. Er wird wohl in Töpfers Hotel sitzen, im Keller unten, da sitzen sie immer.«
Danach waren sie zu Bett gegangen und lagen auch still und sprachen nicht. Aber von Schlafen war keine Rede. Thilde beschäftigte sich mit seiner Haltung während des ganzen Abends und dieser nächtlichen Kneiperei, die ganz jenseits ihrer Berechnungen lag, und die Alte war immer noch bei dem Stück. Es schlug schon eins, als sie sich aufrichtete und leise sagte: »Thilde, schläfst du schon?«
»Nein, Mutter.«
»Das ist gut, Kind. Mir ist so angst. Ob es von dem Tee is? Aber ich habe solch Herzschlagen und sehe immer den alten Mann...«
»Ach laß doch den alten Mann, Mutter. Der schläft nun schon zwei Stunden, und du mußt auch schlafen.«
»Und das einzige is, daß der Rotkopf...«
»Ja, der hat nu seinen Denkzettel.«
»Und was wohl aus dem armen Wurm, dem Fräulein, geworden ist? Wie hieß sie doch?«
»Amalie.«
»Richtig, Amalie. Ja, die is doch nu so gut wie eine Waise. Denn wenn sie den Alten auch wieder rausgeholt haben. Lange kann er's doch nicht mehr machen.«
»Nein, das kann er nicht, Mutter. Aber jetzt werde ich dir ein Glas Wasser holen, und dann legst du dich auf die andre Seite.«
»Na ja, ich werde bis hundert zählen.«
Es war darauf gerechnet,
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