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Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt

Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt

Titel: Matti & Dornröschen 01 - Das Dornröschen-Projekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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richtig.
    Diese Gedanken waren verflogen, als er ihr Gesicht gesehen hatte.
    Er startete den Motor, fuhr aber nicht los. Ihr Gesicht im Spiegel zeigte noch mehr Ungeduld, es verkrampfte sich fast. Er hatte nie jemanden getroffen, der ungeduldiger war als sie.
    »Guten Tag, Lily.«
    Er sah im Rückspiegel, wie sich ihre Augen weiteten. Er drehte sich um, ihre Blicke trafen sich.
    »Dass ich dich noch einmal sehe«, sagte sie fast tonlos nach einer Pause. Da klang ein wenig Berliner Dialekt mit, Ickisch. Dann sagte sie noch leise: »Mensch, Matti.«
    Sie hatte ein bisschen zugelegt, doch es stand ihr gut. Früher war sie eher zu mager gewesen. Jetzt saß sie da in ihrem dunkelroten Hosenanzug mit dem schlanken Hals und schaute ihn über die Stupsnase hinweg eindringlich an, wie sie ihn früher manchmal angeschaut hatte. Und es nahm ihm wieder den Atem. Sie trug zwei kleine rote Perlen an den Ohren und einen schmalen silbernen Ring mit einem roten Stein. Sie hatte damals schon am liebsten Rot getragen, nicht als plumpen Ausdruck einer Gesinnung, sondern weil ihr nichts besser stand. Und sie roch immer noch nach Zigarettenrauch.
    »Wenn man in Berlin Taxi fährt, kann es passieren«, erwiderte er bemüht cool. Er fuhr los und bog gleich links ab in die Zossener Straße, nachdem ein Lastwagen vorbeigedonnert war. »Und was machst du so?« Er war nervös, sah aber, dass seine Hände nicht zitterten.
    Als sie am Willy-Brandt-Haus waren, räusperte sie sich. Auch das kannte er. Wenn sie angespannt war oder etwas Wichtiges sagen wollte, räusperte sie sich erst einmal, als müsste sie Zeit gewinnen, um es sich noch einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Aber dann sagte sie nur: »Und du bist jetzt Taxifahrer. Hast du ja früher schon gemacht …«
    »Genau«, sagte er. »Hab ich früher schon gemacht.« Was für ein elendes Gespräch. Er blickte in den Rückspiegel, und sie sahen sich an. In ihrem Blick lag Zweifel, vielleicht sogar Misstrauen.
    »Und was machst du?« Er bremste in der Höhe des Gropius-Baus.
    »Anwältin, in einer Kanzlei in Charlottenburg.«
    Er fuhr weiter. Ein Lieferwagen blockierte die Straße, und die Schlange konnte ihn nur im Schritttempo umkurven. »Dann hast du ja erreicht, was du wolltest«, sagte er, während er endlich am Lieferwagen vorbeizog. Die beiden Ladetüren standen offen, und ein Mann in einem blauen Overall schob auf der Ladefläche einen monströsen Chefsessel an die Kante, wo ein zweiter Mann im gleichen Overall wartete, um das Möbel anzunehmen.
    Er schaute wieder in den Rückspiegel, und erneut trafen sich ihre Blicke. Er kannte sie, die so unterschiedlich sein konnten, kalt, gleichgültig, hasserfüllt und leidenschaftlich. Wenn sie etwas nicht glaubte, hatte sie den Tschekablick aufgesetzt, er war die Vorstufe zur seelischen Folter. Er fragte sich, wie sie ihre Gemütsschwankungen, die urplötzlich kamen und gingen, wie sie diese Spiegelungen ihrer zerrissenen Seele im Gerichtssaal verbergen konnte. Er stellte sie sich vor mit einer getönten Brille an dem Tisch, wo die Anwälte saßen.
    Sie räusperte sich, während er vor einer Ampel hielt. »Es wird knapp«, sagte sie.
    »Wann fährt dein Zug?«
    »Um 16 Uhr 38.«
    »Das schaffen wir locker.«
    Wieder ein kurzer Blickwechsel über den Spiegel. Sie holte eine Puderdose aus der Handtasche und betrachtete sich im Schminkspiegel im Dosendeckel. Sie pinselte ein wenig auf der Haut, aber er wusste, dass sie sich nur ablenken wollte. Er kannte sie so gut. Und er spürte, dass er unruhig war, wie früher, wenn er sie getroffen hatte. Beim letzten Mal war es kurz gewesen, da hatte sie geschnauzt: »Mir reicht’s!«, und sie war abgerauscht, war die zwei Stockwerke in dem versifften Treppenhaus in der Prinzenstraße, dicht am U-Bahnhof, hinuntergedonnert, und unten auf der Straße hatte sie noch einmal einen Blick nach oben ausgepackt, voller Wut, und er war sich vorgekommen wie in einer italienischen Komödie, nur dass ihm nicht nach Lachen zumute war. Danach hatte er sie nicht mehr gesehen und nur noch mitbekommen, dass sie ihre paar Sachen abgeholt hatte, als er nicht zu Hause war. Den Schlüssel hatte sie auf dem Küchentisch hinterlassen. Aber ihr Geruch hatte noch ein paar Tage im Badezimmer gehangen.
    Er schlich durch den Tunnel zum Europaplatz, und als er herauskam, regnete es. Die Sonne war hinter grauen Wolken verschwunden, und die Äste der Bäume zitterten in einer Bö. So war es immer mit ihr gewesen. Nie war etwas

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