Matti & Dornröschen 03 - Ein Mörder kehrt heim
hier, um sich nicht den Vorwurf einzuhandeln, Sie hätten nichts getan. Immerhin geht es um Mord …«
»Das behaupten Sie«, blökte der Jungbulle. »Weit und breit keine Leiche, und der Überfall auf die … Dame hier war wahrscheinlich auch getürkt.«
»Das ist eine Unverschämtheit«, sagte Matti. »Bestätigt aber nur, was wir von Ihnen zu erwarten haben. Nichts, wie immer.«
»Wir gehen wohl besser«, sagte Schmelzer.
***
Ein Sonnenuntergang. Der wievielte? Dreihundertfünfundsechzig mal neunundachtzig, abgezogen die Tage, an denen es scheißegal war, ob die Sonne aufging, schien oder unterging. Du sitzt am Fenster und blickst über den Fluss. Die Sonne färbt ihn rot. Am Gegenhang das Schloss. Rot vom Licht an der einen Seite. Die Nacht schwärzt schon den Rest. Auf der Brücke Autos, klein wie Modelle. Menschen, knopfgroß. Ein Ausflugsschiff fährt zum Rhein. Der Kapitän muss in den Sonnenuntergang schauen. Vielleicht legt er auch schon hier an. Du starrst in die anbrechende Nacht, die so sein wird wie alle Nächte seit langer Zeit. Du wirst einen Weinbrand trinken, damit du einschläfst. Aber er wird nicht helfen. Du wirst wach liegen, und wenn du doch schläfst, wirst du träumen. Von den Träumen wirst du erwachen. Du wirst pinkeln gehen. Du wirst wach liegen und gegen die Ausläufer der Träume ankämpfen. Du wirst wieder pinkeln gehen. Du wirst einschlafen und träumen. Du wirst aufwachen, weil die Träume dich jagen. Du wirst pinkeln gehen. Wenn der Morgen anbricht, wirst du froh sein. Keine Träume mehr. Dann kommen die Schmerzen. Wenn du laufen kannst, wirst du pinkeln gehen. Du wirst dich waschen und ankleiden. Es wird wehtun. Du wirst frühstücken. Ein Stück Brot mit Marmelade. Ein Glas Wasser. Du wirst, weil heute Mittwoch ist, ein Taxi rufen. Das Taxi bringt dich in die Stadt. Du wirst dich an der Brücke absetzen lassen, kein Trinkgeld geben. Du wirst zum Rathausplatz laufen und dich an den Brunnen setzen. Es wird warm sein. Du wirst das Treiben auf dem Marktplatz betrachten. Touristen werden über die Hauptstraße strömen. Du wirst Frauen sehen. Und niemand wird dich etwas fragen.
3: Who Knows What Tomorrow May Bring?
A lso, bei mir kannst du nicht schlafen«, sagte Dornröschen.
»Und bei mir ratzt schon Robbi«, sagte Twiggy.
Anja hatte erklärt, sie wolle nicht zu Hause übernachten. Sie habe Angst, dass der Typ wiederkommen würde. Ihr tue alles weh. Und überhaupt war sie jämmerlich drauf. Bei ihr wechselten die Launen schnell.
»Okay«, sagte Matti. »Ich rolle die Isomatte aus, und du kriegst mein Bett.«
»Manchmal schnarcht er«, lästerte Twiggy.
»Ich schnarche immer«, erwiderte Matti. »Der Sound ist aber einzigartig.«
Anja grinste. Immerhin.
Und Matti dachte, dass er jetzt nicht denken durfte, was er dachte.
Dornröschen fragte: »Noch ein Absacker?«
Matti öffnete eine Flasche Barolo aus der Kiste, die Twiggy vor ein paar Tagen besorgt hatte. »Yuppi-Gesöff«, hatte Dornröschen gelästert, aber dann ließ sie sich auch ein Glas eingießen.
Robbi schien seine Sünden zu bereuen, jedenfalls hatte er sich auf Twiggys Schoß gefläzt.
Dornröschen hob das Glas, und sie stießen an. »Was machen wir jetzt?«, fragte sie.
»Die Bullen lassen Anja hängen, wir nicht«, erklärte Matti und erntete einen dankbaren Blick von ihr.
Dornröschen grinste kurz. »Auf Krimi hab ich aber keinen Bock«, sagte sie.
Twiggy starrte auf die Tischplatte, als erwüchse aus ihr die Weisheit.
»Wir können ja ein bisschen herumfragen«, sagte Matti. Er spürte, dass die Stimmung kompliziert war. Würde er vorpreschen, könnte Twiggy sich genervt fühlen. Er fand es ohnehin nicht toll, dass Robbi auf Anja stand.
»Hm«, sagte Twiggy und trank einen Schluck.
»Georg war ein Genosse«, sagte Matti.
»War er das noch?«, fragte Dornröschen.
Schweigen.
Matti kam ins Grübeln. Vermutlich gehörte Georg zu den Leuten, die ihre Biografien nicht wegwerfen konnten und dies als Charakterstärke empfanden, obwohl sie falsch gelebt hatten. Er kannte es von sich selbst: dass man die übelsten Taten adelte, weil sie doch immerhin einem überragenden Ziel gedient hatten. Es ging um Variationen des Irrtums, wonach der Zweck die Mittel heilige. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist ungerecht, sie zerstört, sie stürzt Menschen ins Unglück, sie macht wenige unendlich reich und viele unerträglich arm. Sie führt Kriege und beutet aus. Und weil es so ist, sind alle Mittel erlaubt,
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