Matti & Dornröschen 03 - Ein Mörder kehrt heim
ihm eine Betriebsprüfung anzukündigen. Was bedeutete, dass Mattis Chef all die Scheißakten zusammensuchen musste, in denen die Faulheit seiner Fahrer dokumentiert war. Detlev schoss aus dem Büro, als Matti angeradelt kam. Detlev wedelte mit der Hand vorm Gesicht. »Pass auf, gleich explodiert er.«
Doch dieser Aggregatzustand war bei Ülcan nicht selten, und Matti kannte den Chef seit Jahrhunderten. Ihn konnte nichts mehr beeindrucken. Außer Ülcan säße eines Tages fröhlich hinter seinem Schreibtisch, böte Tee an und würde seinen Fahrern eine Tageseinnahme schenken. Auf diesen Schrecken musste Matti sich aber nicht vorbereiten. Suchte man die ultimative Metapher für das Wort »unmöglich«, so wäre sie in Ülcans Verhalten gefunden.
Kaum hatte Matti den Benz auf die Manitiusstraße gelenkt, lotste ihn der PDA zur Ecke Fasanen-/Hardenbergstraße, wo ein Fahrgast unbedingt mit ihm fahren wollte. Das gab es manchmal, aber Matti gehörte nicht zu den Lieblingsfahrern Berliner Seniorinnen, er hatte das bisher nur einmal erlebt. Da hatte er in einem Anfall von Mitleid einer alten Dame im Westend den Koffer in den vierten Stock getragen. Sonst pflegte Matti in vergleichbaren Fällen freundlich zu erklären, dass man nur packen möge, was man tragen könne.
In der Hardenbergstraße wartete keine Oma auf ihn. Da stand ein mittelgroßer Mann zwischen fünfzig und sechzig mit kurz geschnittenen weißen Haaren und einer Sonnenbrille. Er trug einen schwarzen Anzug und ein schwarzes Hemd. Wahrscheinlich ist auch seine Unterhose schwarz, dachte Matti. Und fragte sich, warum der Typ sich ihn als Fahrer ausgesucht hatte. Vielleicht eine Empfehlung. Wenn Sie eine Art Reiseführer brauchen, also einen Typen, der sich in Westberlin auskennt, in Ostberlin außerhalb Friedrichshains allerdings weniger, dann rufen Sie den Herrn Jelonek vom Taxibetrieb Ülcan Türkkan in Kreuzberg 36. Matti erinnerte sich an Fahrgäste, die ihn Umwege kurven ließen, um sich zeigen zu lassen, wo Bachmann auf Dutschke geschossen hatte oder wo die Neue Reichskanzlei mitsamt dem Führerbunker gelegen hatte.
Der Typ sah nicht nach Sightseeing aus.
Er stieg hinten ein, schnallte sich an und verströmte ein dezentes, kühles Rasierwasser. »Fahren wir in Richtung Tegel«, sagte er.
Über den Ernst-Reuter-Platz, Bismarck- und Sophie-Charlotten-Straße auf die Stadtautobahn. Keine große Sache. Nur würde er nachher in Tegel herumstehen, wenn er sich nicht was anderes suchte. Der Mann schwieg, bis er kurz vor dem Flughafentunnel erklärte: »Fahren Sie zum Kurt-Schumacher-Platz.«
Matti zuckte innerlich die Achseln.
»Und dann in die Straße 462, und dort halten Sie bitte.« Der Mann schnallte sich ab. Als Matti gehalten hatte, drehte er sich um. Die Hand des Manns griff ins Jackett und zog eine Pistole mit Schalldämpfer hervor. Der Mann richtete die Pistole auf Mattis Bauch.
»Was soll das?«, schnauzte Matti gegen seinen Schrecken an. Er überlegte, ob er sich aus der Tür fallen lassen sollte.
»Die Sache ist ganz einfach«, sagte der Mann ruhig. »Du fährst Taxi, in deiner Freizeit liest du, hörst Musik, fickst deine Freundin oder gehst spazieren. Und sonst machst du gar nichts. Vor allem: Sei nicht neugierig. Kümmer dich nur um deine Angelegenheiten. Dann geschieht dir und deiner kleinen Freundin nichts. Verstehst du mich?«
Matti nickte.
»Wirklich?«
Matti nickte und war überzeugt, dass er sich an die Regeln des Typen halten würde. Nichts würde ihn davon abbringen. Merkwürdig, dachte er, merkwürdig, dass ich an meinem Scheißleben hänge.
»Bist ein kluger Kerl«, sagte der Mann.
»Was war das mit Georg?«, fragte Matti.
Der Typ staunte. »Welcher Georg?«, fragte er und stieg aus.
»Du hast nicht bezahlt«, sagte Matti.
Der Typ steckte die Knarre ein und marschierte zur U-Bahn, als wäre nichts gewesen. Matti überlegte, ob er die Polizei rufen sollte. Es hat keinen Sinn, dachte er. Bis die Bullen angerückt sind, ist der Typ über alle Berge. Schmelzer hält mich sowieso für verrückt und dann für noch verrückter.
Wie in Trance brachte Matti seine Schicht zu Ende. Während er ein Yuppi-Paar durch Kreuzberg fuhr und er ihr unbedingt die Oberbaumbrücke zeigen musste, wälzte Matti die Geschichte mit dem Knarren-Typen hin und her. »Hier strömen am Wochenende die Massen, echt super«, jubelte der Typ, und sie himmelte ihn an, wie Matti nebenbei im Rückspiegel verfolgte. »Berlin wird immer internationaler«, sagte
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