Mea Suna: Seelensturm Band 1 (German Edition)
schien den Gedanken nicht ertragen zu können, hier auf unser Schicksal zu warten. Er zog es vor, alles hinter sich zu lassen und noch einmal von vorne anzufangen. Irgendwo auf dieser Welt, wo uns niemand kannte und wir vielleicht noch nicht einmal die Sprache verstanden, in völliger Fremde. Natürlich schien es logisch und für ihn das Einfachste, doch ich sah darin nur den verzweifelten Versuch, etwas zu schützen, was nicht länger zu schützen in seiner Macht lag. Sie würden uns finden, egal wohin wir gingen! Doch vielleicht war es eine Möglichkeit, die wir nutzen sollten, solange sie nicht wussten, dass wir Zwillinge waren und sie glaubten, dass ich Amy wäre. Mr. Tramonti hatte es selbst gesagt, von den Illustris gab es nicht mehr viele. Falls die Taluris weiterhin glaubten, dass ich die Illustris wäre und sie mich töteten, dann wäre die wahre Illustris sicher.
»Und wohin willst du?« Amy legte ihre Gabel auf den Teller und schob diesen von sich.
»Ich weiß es nicht, aber vielleicht finden wir einen Ort, an dem wir bleiben können«, gab er zur Antwort. Es war still am Tisch und ich überlegte, ob nun der Zeitpunkt gekommen war, um ihnen meinen Plan mitzuteilen.
»Vielleicht ist die Idee gar nicht so schlecht«, begann ich vorsichtig. Onkel Finley sah mich erstaunt an, sagte aber kein Wort. Wahrscheinlich war er froh, dass ich mich anders entschieden hatte.
»Und für wie lange? … Bis sie uns dort auch finden?«, mischte sich Amy heftig ein, »Ich denke, wir sollten bleiben und das Beste daraus machen. Erst mal glaube ich, was Mr. Tramonti gesagt hat, die Taluris können im Augenblick nichts tun. Sie müssen warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist und außerdem, solange wir die Schule nicht besuchen, wird jeder glauben, dass der Schock vom Unfall noch tief sitzt. Sie können uns nichts tun und wenn doch, werden wir kämpfen.« Vor ein paar Stunden hatte Amy noch ganz andere Töne gespuckt. So kämpferisch hatte ich sie schon lange nicht mehr erlebt.
»Und wie willst du dich mit deinem Arm verteidigen? Der Zeitpunkt, von hier zu verschwinden wäre gerade jetzt mehr als günstig, egal was Tramonti sagt. Er ist nicht hier und er kann uns auch nicht helfen, wenn es zu einem Angriff kommt«, erwiderte Onkel Finley.
»Mr. Chang und Jade werden uns beschützen, außerdem haben wir die Sicherheitsleute und ein Alarmsystem.«
»Sei nicht kindisch, Schatz. Meinst du etwa, das könnte sie aufhalten?«
»Hört auf zu streiten!«, mischte ich mich ein. Ich warf meiner Schwester einen warnenden Blick zu. Onkel Finley wusste ja nichts von dem kleinen Waffenstillstand, den ich mit Luca ausgehandelt hatte, von den heimlichen Treffen ganz zu schweigen.
Die Diskussion war erst einmal beendet, da Onkel Finleys Handy klingelte. Er stand auf und verließ die Küche.
»Wie kannst du nur wollen, dass wir von hier fortgehen?«, warf sie mir vor, als wir allein waren.
»Es ist die einzig sichere Lösung«, gab ich knapp zurück, räumte mein benutztes Geschirr in die Maschine und hoffte, sie würde nicht weiter in mich dringen, da ich ihr meine Idee auf keinen Fall weiter erklären wollte. Mit Mr. Changs Unterstützung würde ich bessere Karten haben, Amy und auch Onkel Finley davon überzeugen zu können. Auch ihr war der Appetit gänzlich vergangen. Gemeinsam räumten wir den Tisch ab.
Schon während des Abendessens sah sie mich immer wieder fragend an und ich wusste genau, warum. Ich hatte ein Geheimnis, und dieses Wissen strahlte mal wieder verräterisch weiß durch meine Haut.
»Er hat mir eine Nachricht geschickt. Er will sich heute Abend mit mir treffen«, sagte ich leise.
»Und wo?«
»Tja, wenn ich das wüsste. Ich habe keine Ahnung. Heute Mittag saß seine Krähe am Fensterbrett der Bibliothek und übergab mir einen kleinen Zettel, auf dem nur " heute Abend
"
draufstand«, erzählte ich ihr.
»Mehr nicht?«
»Nein. Ich denke, er wird es mich schon wissen lassen. Es wäre gut, wenn du nicht so offensichtlich an den Fenstern vorbeilaufen würdest, damit unser Geheimnis noch länger eins bleiben kann.«
Amy nickte. »Ich hatte für heute Abend sowieso vor, die SMS-Flut, die ich seit dem versuchten Mord bekommen habe, zu beantworten.«
»Verplappere dich aber nicht!«, ermahnte ich sie.
»Ja ja, ich bin ja nicht doof.«
Ich verließ die Küche und zog mich in meinem Zimmer um. Da ich heute Abend allein trainieren würde, beschloss ich, dies mit meiner Lieblingsmusik zu tun.
Kapitel
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