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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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erkennen ließ, dass man darüber vom Glauben abfallen mochte. All diese Dinge hatten ihn zum Leidwesen seines Vaters immer schon mehr interessiert als die Belange des Geschäftes und die Pflege guter Handelsbeziehungen. Geld und Gut bedeuteten ihm nicht viel, denn für ihn waren sie selbstverständliche Attribute seines bisherigen Lebens und stets im Überfluss vorhanden gewesen. Allein diese gleichgültige Haltung den materiellen Dingen gegenüber hatte ihn in einen schier unüberbrückbaren Gegensatz zu seinem nun der Pest erlegenen Vater gebracht. Am liebsten wäre Marco seinerzeit schon in Italien geblieben und einem Orden beigetreten, um sich ganz dem Studium der letzten Fragen des Lebens widmen zu können. Sein Vater aber hatte dafür nicht das geringste Verständnis aufgebracht, und es war immer deutlicher geworden, wie grundverschieden der alte Handelsherr Luca di Lorenzo und sein Sohn doch waren. Einzig die Tatsache, dass sie beide nach Aposteln benannt worden waren, schienen sie gemein zu haben. Oft genug hatte Maria miterlebt, wie ihre Mutter Catarina vergeblich versucht hatte, zwischen den beiden zu vermitteln. Letztlich hatte sich Marco irgendwann – zumindest dem äußeren Schein nach – dem Willen seines Vaters gebeugt.
    »Wir hätten niemals in dieses verfallende Ruinenfeld zurückkehren sollen, Schwester«, murmelte plötzlich Marco an Maria gewandt, während er auf die dunklen Schatten der großen Häuser und Türme starrte, die entlang der Mese standen. »Wie spärlich ist die Beleuchtung in der Stadt inzwischen! Früher soll Konstantinopel des Nachts einem Sternenmeer geglichen haben. Jetzt hausen in manchen Vierteln nur noch die verblassenden Schattengeschwister einer glorreichen und erhabenen Vergangenheit. Vielleicht ist es gut, dass die Straßen nicht mehr so hell erleuchtet sind und dass sich der Lichterschein nicht in den goldenen Kuppeln der Kirchen spiegelt. Vielleicht ist es gut so, denn so sieht man mehr Schatten – und nicht das volle Ausmaß des Niedergangs, wie es am Tag der Fall ist. Es ist ein langsamer, qualvoller Tod, den diese Stadt stirbt. Vielleicht sogar ist sie ohnehin nichts weiter als bereits ein großer, verwesender Leichnam, und wir sind wie die Maden, die sich von seinen gerade noch genießbaren Überresten ernähren.«
    »Was sollen diese Worte, Marco?«, fragte Maria. »Seien wir lieber froh, der Pest entronnen zu sein.«
    Marco di Lorenzo schüttelte den Kopf.
    »Es gibt hier keine Zukunft für uns, Maria. Schon unser Großvater hätte seine Besitzungen am Goldenen Horn verkaufen sollen und dies womöglich sogar noch mit Gewinn tun können! Und wie ist es jetzt? Eines Tages wird der osmanische Sultan die Stadt erobern. Mag sein, dass seine Kanonen den Mauern des großen Theodosius heute noch nichts anhaben können. Doch wenn es so weitergeht wie bisher, werden diese Mauern sowieso irgendwann von selbst zerfallen, genauso wie alles andere auch! Es gibt nicht genug Handwerker, die sie erhalten und von dem Moos befreien könnten, das sich in ihre Fugen setzt. Die Fäulnis dieses Niedergangs hat sich überall eingeschlichen, und die aufsteigenden Dämpfe des Bösen zerfressen die Gemäuer von innen heraus!«
    Seine Augen waren weit aufgerissen, als er diese Worte sprach, und Maria erkannte, dass es nun sinnlos war, ihn anzusprechen. Immer öfter steigerte er sich in einen Redefluss und in einen Gemütszustand hinein, der sie an die fanatischen Prediger und Geißler erinnerte, die man inzwischen an jeder Straßenecke antreffen konnte und die nicht müde wurden, vom baldigen Ende der Welt zu reden.
    Der Wagen erreichte das Außentor des Kontorgebäudes, das von einer hohen Mauer umgeben war. Immer zahlreicher wurde das Diebesgesindel, das die Straßen Konstantinopels unsicher machte. Man konnte sich kaum auf Hilfe durch die Söldner des Kaisers verlassen, wenn es darum ging, sein Eigentum zu schützen. Es kam selbst hin und wieder vor, dass Gardisten des Kaisers mit Dieben gemeinsame Sache machten und ihren Teil vom Erlös bekamen, den die Beute auf einem der wilden Hinterhofmärkte erbrachte. Diese Märkte waren von den Gilden der Kaufleute und Handwerker zwar bekämpft, aber letztlich nie erfolgreich unterbunden worden.
    Der Kutscher rief ein Losungswort auf Latein. Daraufhin öffnete ein Wächter das Tor. Der Wagen fuhr in den Innenhof. Davide hatte darauf geachtet, dass die Wächter, die für das Handelshaus di Lorenzo tätig waren, möglichst kein Wort Griechisch

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