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Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
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weit hinausgeschwommen, das war alles.» Tom schob die Unterlippe vor, um den letzten Tropfen Ale aufzufangen. «Hättest sie mal sehen sollen gestern Abend; die hat ganz schön über die Stränge geschlagen. Vermutlich hat sie einfach Wasser und Land verwechselt.»
    «Tja, man kennt ja diese Londoner Flittchen.» Ned nickte.
    «Mit dir hat sie trotzdem nich tanzen wollen.» Pete kicherte.
    Adrian wurde schlagartig bewusst, dass sie vermutlich alle gestern auf diesem Fest gewesen waren: Tom, Pete, Ned. Trotz ihrer Bäuche und ihrer Jobs und Familien und langweiligen Hemden waren sie kein Jahr älter als er. Kaum zu glauben, dachte er, als er sie so betrachtete. Er hatte sich ihnen schon nicht sehr nahe gefühlt, als sie noch Kinder gewesen und gemeinsam in den Klippen Möweneier aus den Nestern geholt hatten. Aber jetzt schienen sie ihm wie von einem anderen Stern zu sein. Dann fiel ihm etwas anderes ein. «Ein Mädchen?», fragte er mit trockenem Mund.
    «Sie haben uns alle schon befragt», stellte Ned fest. «Jeden einzelnen Mann im Ort, kannste mir glauben. Man kommt sich schon wie ein Verbrecher vor.»
    «Also ob man nichts Besseres zu tun hätte.»
    «Und so was schimpft sich Polizeiarbeit.»
    Patrick nickte ihm zu: «Da haste Glück, Ames, wenn de heute erst angekommen bist.»
    «Ich bin schon seit gestern da», sagte Adrian und ging hinaus. Fest zog er die Tür hinter sich zu, ohne auf das panische Gebimmel der Ladentür zu achten. Er schaute sich auch nicht mehr nach den Gesichtern der anderen um, von denen er sicher war, dass sie ihn zwischen den Drehständern mit Postkarten und den Regalen mit Keksen und Nippes hindurch mit ihren Blicken durch die Scheibe verfolgen würden.
    Mit wenigen Schritten war er am Rand der Promenade. Sofort spürte er den kühlen Wind im Gesicht und den feinen Sprühregen. Von einem Tag auf den anderen war der Sommer vorbei.
    «Irgendwas gefunden?», hörte er eine Gestalt im neonorangefarbenen Regenanzug einer anderen zurufen.
    «Nichts bisher.»
    Adrian zögerte. Wieder sah er seine Bekanntschaft von gestern Nacht vor sich, wie sie verängstigt ans Meer hinunterlief. Was danach wohl mit ihr geschehen war? War es unverantwortlich gewesen, ihr nicht zu folgen? Wenn sie nun vollgepumpt mit Drogen ins Wasser gegangen und ertrunken war? War er dann nicht schuld an allem, irgendwie?
    Verdammt, dachte Adrian und biss sich auf die Lippe, als ein Polizist dicht an ihm vorbeiging, so dicht, dass er das Plastik seines Regenumhangs rascheln hören konnte. Hin- und hergerissen zögerte er und wagte es am Ende doch nicht, ihn anzusprechen. Ich hätte die Arschlöcher im Laden fragen sollen, dachte er. Dann wüsste ich jetzt, ob sie schwarze Haare hatte.

[zur Inhaltsübersicht]
6. Kapitel
    Eine Weile noch sah Adrian zu, wie die Männer in einer Reihe über den Strand gingen, der mit dem Rückzug der Flut breiter wurde, und mit langen Stangen im Sand stocherten. Dann zog er die Schultern hoch, klappte den Kragen seiner Jacke auf gegen den Wind, und marschierte davon zum südlichen Ende der Hafenbucht. Dort, zwischen zwei Häusern, gab es einen kleinen Durchgang. Er sah aus, als führe er bloß auf einen Hinterhof. Mülltonnen säumten ihn, und an dem geflickten Draht des Zauns hingen vom Seewind zerfressene Metallbriefkästen. Nach wenigen Schritten aber verwandelte sich das kaputte Pflaster des Bodens in einen festen Graspfad, der zwischen den letzten Häusern von Broxton hindurch und in den Steilhang führte, der hier gras- und blumenbewachsen war. Der Regen endete plötzlich, der bedeckte Himmel riss auf, und ehe Adrian sichs versah, waren die letzten Regenwolken hinaus aufs Meer geblasen, und Sonnenlicht strahlte über die Küste. Das nasse Grün leuchtete, der Horizont sah aus wie frisch gespült, und selbst der Wind wurde wieder wärmer. Adrian knöpfte seine Jacke auf und hängte sich die Plastiktüte vom Mermaid-Shop über die Schulter. Er pfiff vor sich hin.
    Weiter unten schoben sich zunehmend Felsen aus dem Meer, das Ufer wurde schroff und steil. Der Pfad hielt sich oberhalb der Steilküste und wand sich, hie und da einen Felsen umrundend, immer höher hinauf. Möwen schrien und flogen hinaus aufs Wasser. Adrian schaute ihnen nach. Nur ungern ließ er seinen Blick in die flacheren Gewässer direkt unter sich gleiten. Teils, weil er nicht ganz schwindelfrei war, teils, weil irgendetwas in ihm befürchtete, dort in der Brandung könnte ein lebloser Körper vor sich hin dümpeln. Doch

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