Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meerestochter

Meerestochter

Titel: Meerestochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Serena David
Vom Netzwerk:
über die ausgestorbene Straße.
    Ned zeterte, stöhnte und schrie.
    Knightley achtete nicht darauf. Es kostete ihn seine ganze Kraft voranzukommen. Das Plastik riss ein oder glitt ihm aus der Hand, es blieb an Unebenheiten hängen und zog Unrat mit sich, der sie ausbremste. Eine Scherbe schnitt sich in die lederne Sohle seines Schuhs bis ins Fleisch. Knightley hob den Fuß und drückte an der Sohle herum, bis er ein wenig Blut fließen sah, das mit dem Regen versickerte, fluchte und zerrte weiter. «Eins sage ich dir, wenn ich deinetwegen eine Blutvergiftung kriege, dann …»
    Sie waren gerade in der Mitte des Kais, als er Reifen quietschen hörte. Scheinwerfer blendeten auf.
    «Morgan?» Knightley richtete sich auf und legte die Hand über die Augen. «Na endlich!»
    Ja, es war ein Lieferwagen, der da auf sie zukam. Für einen Moment leistete der Kommissar Patrick Morgan innerlich Abbitte. Hatte er doch geglaubt, der andere würde sich unbemerkt aus dem Staub machen. Aber wie es aussah, hatte der Ladenbesitzer es sich überlegt. Alles verlief nach Plan.
    Knightley sah, wie der Wagen langsamer wurde, und hob schon den Arm, um zur Begrüßung zu winken.
    Da nahm das Auto erneut Fahrt auf. Kurz vor dem Kriminalbeamten und seinem Gefangenen zog es zur Seite und streifte unter Krachen und Splittern ein parkendes Auto. Es war Knightleys Wagen. Wie in Zeitlupe sah der Inspektor zu, wie der BMW eingedellt und hochgehoben wurde, wie er wippend wieder auf die Räder zurückfiel, die vordere Seite völlig eingedrückt. Scheinwerfer und Frontscheibe zerbrachen in einem Scherbenregen, der auf den reglosen Polizeibeamten niederging, ohne dass er auch nur den Arm hob zu seinem Schutz. Er wusste selbst nicht, ob das Mut war oder einfach nur völlige Verblüffung. Ned hingegen kreuzte die Hände über dem Kopf und schrie wie am Spieß.
    Als alles wieder zur Ruhe kam, sah Knightley, dass die gesamte Karosserie verdreht wirkte. Ein Rad hing halb heraus und verlieh dem Wagen eine unglückliche Neigung. Der Kühlergrill ähnelte einem gewrungenen Handtuch. Das Auto sah aus, als grinse es mit schiefem Maul und heraushängender Zunge. Es war Patrick Morgans Grinsen.
    Der Ladenbesitzer gab Gas und ließ Knightley und seinen Begleiter, der am Boden lag und wimmerte, hilflos und ohne Gefährt zurück.
    «Hast du das gesehen? Der hätte mich fast überfahren!»
    «Ach, halt’s Maul, Ned.» Für einen Moment, während die Rücklichter des Lieferwagens auf der Landstraße verschwanden, verlor der Inspektor seine übliche Selbstbeherrschung. Es war der Augenblick, in dem er realisierte, dass die Wand aus Wasser dort draußen sich zu neigen begann. Und dass sie beide so gut wie tot waren.
     
    Maud, Adrian und Morningstar lagen nebeneinander auf der flachen Platte des Hünengrabes. Der Regen prasselte auf sie nieder, sie hatten keinen trockenen Faden mehr am Leib. Aber das war gleichgültig. Sie waren erschöpft, zu erschöpft sogar, um sich noch zu fürchten. Morningstar öffnete den Mund und schluckte und trank. Maud lachte hysterisch, dann flossen über ihr Gesicht Regentropfen und Tränen, Kalt und Warm vermischte sich.
    Adrian war der Erste, der sich aufrichtete. «Wird es reichen?», meinte er mit Blick auf das Meer und die tödliche Wand, die von hier aus schon viel ferner schien.
    «Es wird reichen müssen», meinte Morningstar und stemmte sich auf die Ellenbogen hoch. Er hatte das dumpfe Gefühl, dass sie dieses Gespräch nicht zum ersten Mal führten. Ohnehin war er wie betäubt. Er hatte jedes Zeitgefühl verloren, es gab keinen Anfang und kein Ende, Stunden und Minuten waren wie ein langsamer Strudel, in dem er jede Orientierung verlor. Doch als er Adrian an den Rand rutschen sah, wachte er auf. «Wo willst du hin, Junge?», rief er und streckte die Hand aus.
    Adrian sprang im selben Moment.
    Morningstar robbte vor und blickte nach unten.
    Adrian war auf dem regennassen Gras ausgerutscht, aber schon wieder auf den Beinen. Mit schiefem Grinsen rieb er sich den Hintern. Er war sich nicht sicher, ob Helden lehmige Hosenböden haben durften.
    «Du kannst dich doch kaum noch auf den Beinen halten», rief Morningstar hinunter. «Sei kein Idiot, komm wieder rauf.» Und er verfluchte sich dafür, dass er Adrian vorhin gestanden hatte, dass Christy hier war. Er hätte sagen sollen, dass er sie zu Hause zurückgelassen hatte, auf dem Ledersofa, am Rand des Pools, vertieft in die Encyclopædia Britannica und vollkommen in Sicherheit. Er war

Weitere Kostenlose Bücher