Mein Afrika-Tagebuch
aussah. Auf Befragen erklärte er, dass er noch weniger als wir abstürzen woll e , denn er m üsse dann auch noch das Flugzeug bezahlen. Das beruhigte m ic h über die Maßen. V or allem aber herrschte wunderschönes Flugwetter; es war windstill und fast wolkenlos. Und da wir in die Wüste flogen, war a u ch die Gefahr eines Stur m s gleich null.
Der Flug selbst verlief glücklich und ohne Zwischenfälle. Der Motor schnurrte unerschütterlich vor sich hin und nie m and s c hoss auf uns. Als wir schließlich in Dadaab landeten, w ar ich beinahe die Ruhe selbst. Dadaab li e gt m itten in ein e r o r a nge f arbenen stau b igen Leere etwa sechzig Meilen vor der Grenze zu So m alia, genau auf dem Äquator. Seit Jahren herrscht dort Dürre, was m an bei jedem trockenen Rascheln des W i ndes m erkt. Als Anfang der neunziger J a hre Flüchtlinge vor den Kä m pfen in So m alia über die Gre n ze nach Nordostkenia strö m t en, wurde hastig ein Lager errichtet. Nun, ein knappes Dutzend Jahre später, beherbergt es 134.000 Menschen.
Die Anlage beste h t a u s drei, jeweils ein, zwei Meilen voneinander entfernten, eingezäu nt en C a m ps, und wenn m an vom einen zum anderen will, muss m an sich, f ür den Fall der F älle, von einer W agenladung kenianischer Soldaten e s kortieren la s sen. Im Grunde ist das Lager eine Großstadt in der W üste gewor d en, es gibt Schulen, Märkte und feste Behausungen. Es existiert jetzt schon so lange, dass eine ganze Generat i on von Kindern erwachsen geworden ist, ohne ein anderes Dasein kennengelernt zu haben als das hinter Stacheldraht und schweren Eisentoren, im m er m it dem Bewu s stein, dass die W elt jens e its die s er ge m ütlichen Grenzen nichts als Ge f ahren oder Gleic h gültig k eit bi rgt. CARE hat 175 Angestellte v o r Ort. 45 Pr oz ent seiner Ausgaben in Kenia e n tfallen auf das C a m p. Dadaab ist ein anschauliches Mahn m al dafür, dass Flüchtlingsproble m e sich nicht einfach dadurch erledigen, dass sich die journalistische Auf m e r ksa m keit woandershin verlagert. Die Bewohner häng e n unabänderlich fest. Nach So m alia können sie nicht zurück, weil es zu gefährlich ist, und in Kenia nirgendwo hin, weil das Land genug eigene Proble m e hat, ohne dass sich auch noch 134.000 So m alis auf der Suche nach Essen und Arbeit in Nairobi oder Mo m basa niederlas s en. Und so exi s ti e rt dann tief in der Wüste eine Stadt, die keine Stadt ist, m it lauter Mensche n , die nicht wissen, wo sie h i ngehen sollen, und eigentlich nichts zu tun haben.
Einen Tag lang m achten wir dort alles, was m an i n einem Flüchtlingslager so m acht. W i r besichtigten die zentrale Essensausgabe, besuchten Schulen, redeten m it Verwaltern und erfuhren, w i e m an Wasser aus dem Boden holt und au f bereitet. Aber b e i a llem f ehlte e s e i g enartig a n Dringlichkeit. Die Bewohner des C a m ps starben nicht, waren nicht unterernährt und brauchten auch nicht verzweifelt m edizinische Versorgung. Es waren ganz nor m ale Leute wie Sie und ich, die irgendwohin wollten, wo sie anständig leben konnten.
Fast a lle, mit de n en ich redete, klagten über den einen oder anderen Mangel – an Arbeit, Essen, Lehrern, an etwas zu tun. Es gibt 28.000 Schüler in den Lagerschulen, aber nur 807 Pulte. E s gibt nur ein Lehrbuch für 20 Schüler und einen Klassenraum für 75. Ich unterhielt m i ch m it einem aufgeweckten jungen Mann namens Ja m es Makuach, einem von 357 Schülern, die sich auf das Abschlussexa m en der keniani s chen Schulen vorbereiteten, Voraussetzung für ein S t udiu m . Er sagte m i r, die Schule besitze nicht die Ausstattung, besonders nicht die Geräte f ür die nat u rwissensc haf tlichen Fä c her, die sie brauchten, um die Prüfung zu bestehen.
»Und Sie haben überhaupt keine Hoffnung ? «,sagte ich.
»Nicht viel«, erwiderte er m it einem herzzerreißend schüchternen Lächeln.
Da f ür f ehlte m ir natü r lich jeglic h es Verstän d nis. I c h fragte Nick – nachdrücklich! –, w arum die Verhältnisse nicht b esser seien. Er sch e nkte m i r einen m itfühlend geduldigen Blick.
»In Afrika gibt es zwanzig Millionen solcher Menschen, Bill«, sagte er. »Geld ist nicht unerschöpflich. Außerdem ist die Verteilung von Mitteln viel ko m plizierter, als den m eisten Leuten klar i s t. E i n grundsätzliches Prinzip bei allen Hilfsprogram m en ist zum Beispiel, dass m an die Bedingungen für Flüchtlinge nicht m erklich besser gestalten kann, als sie für d i
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