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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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über meine Theaterfreude. Für ihn war die Statistenarbeit nichts anderes als ein Mittel zum Geldverdienen. Für mich war es mehr. Ich mochte die Luft, die Atmosphäre, „den Schminkenduft und den Kulissenstaub“, wie Elsa immer sagt.
    In der Zeit, als ich allabendlich als Stubenmädchen auftrat, war Elsa noch am Theater tätig. Kurz danach mußte sie wegen der Schwangerschaft aufhören.
    „Aber ich komme fürchterlich zurück!“ versicherte sie. „Im Mai geht es ja mit dem Ibsen-Jubiläum los, und wenn ich den Chef richtig verstanden habe, hat er die Absicht, mir die Hilde in ,Baumeister Solness’ zu geben.“
    „Schade!“ sagte ich. „In ,Baumeister Solness’ gibt es ja keine Statisten, also nichts für eine arme Komparsin zu verdienen!“
    „Du kennst anscheinend nicht deinen Ibsen“, sprach mein literaturkundiger Bruder. Er stand auf und holte einen Ibsen-Band aus dem Bücherbord. „Darf ich dir etwas vorlesen, Schwesterchen? Hier, im dritten Akt: ,Auf der Straße hat sich eine Menge Menschen angesammelt…“‘ „Au fein!“ rief ich. „Nichts geht über Menschenmengen!“
    „Es wird eine schöne Rolle für dich, Elsa“, sagte Johannes. „Ich freue mich darauf, dich als Hilde zu sehen.“
    „Eigentlich ist es komisch mit dir, Johannes“, philosophierte ich. „Du hast immer gern Dramatik gelesen, ich glaube, du kennst Schiller und Strindberg und Shakespeare und natürlich Ibsen, ja überhaupt all die Klassiker, beinahe auswendig. Und trotzdem hattest du früher so einen Anti-Theater-Komplex!“
    „Das hat meine kluge Frau mir gründlich ausgetrieben“, gab Johannes schmunzelnd zu. „Sie hat nämlich unbedingt recht, wenn sie sagt…“
    „… daß es auch Schauspieler geben muß!“ unterbrach Elsa.
    „Und was sollten die großen Dramatiker machen, wenn niemand da wäre, der ihren Gestalten Leben geben könnte?“
    „Vollkommen logisch“, nickte Torsten. „Und wenn auch Theaterleute manchmal anders sind als die braven Geschäftsleute und Handwerker und Wissenschaftler…“
    „… und Juristen!“ warf ich ein.
    „… und Ärzte und Beamte und so weiter – dann muß man es verstehen!“
    „Ich verstehe es ja auch“, sagte Johannes. „Ich verstehe es sogar sehr gut!“
    Dieses Gespräch hatte an einem Novembertag stattgefunden. Weihnachten kam, und wir vier feierten den Heiligen Abend zusammen bei Elsa und Johannes. Am ersten Weihnachtsfeiertag waren wir alle zu Mamilein und Alfred eingeladen.
    Alfred war glücklich und verliebt wie immer, und Mamilein wirkte ausgeglichener als je zuvor.
    Ja, hier war alles in Ordnung. Ich dachte an den Abend, als ich angerast gekommen war, als meine Gegenwart Mami vor einer Katastrophe gerettet hatte. Der Abend blieb ein Geheimnis zwischen uns beiden, zwischen Mutter und Tochter. Daß ich es Torsten erzählt hatte, wußte Mami nicht.
    Mein Opfer damals war nicht vergeblich gewesen.
    An einem eiskalten Tag im Januar wurde die kleine Felice geboren. Und vierzehn Tage später fand das schon erwähnte Gespräch zwischen Johannes und mir statt. Es war bei der Gelegenheit, daß ich sagte: „Und dies mußte ausgerechnet dir passieren!“
    Mein Gedächtnis funktionierte ausgezeichnet. Ich wußte sehr gut, wann ich krank gewesen war, wann Elsa bei uns gewohnt und mich gesund gepflegt hatte. Es war genau vor neun Monaten!

Hedwig
     
     
    Es war das bevorstehende Ibsen-Jubiläum, das mich dazu brachte, Ibsens gesammelte Werke aus dem Bücherbord zu holen. Aus einem sehr prosaischen Grund: Ich wollte wissen, in welchen Dramen man Statisten brauchen würde! Wenn man nun zum Beispiel Peer Gynt aufführen würde! Da waren Hochzeitsgäste in rauhen Mengen, da waren all die kleinen Trolle, und da waren die drei Säterdirnen.
    Dann studierte ich „Ein Volksfeind“ – ja, da war auch Statisterie, gesegneter alter Ibsen, und dann stolperte ich sozusagen über „Die Wildente“.
    Da war nichts für mich zu tun. Es gab nur männliche Komparsen. Aber das Schauspiel packte mich, und ich las weiter. Dabei dachte ich an etwas, das mein kluger Bruder einmal gesagt hatte: „Ibsen war ein Genie. Und sein genialstes Werk, finde ich, ist ,Die Wildente’.“
    Es packte mich, so daß ich Zeit und Pflichten vergaß.
    Oh, diese kleine Hedwig! Die kleine vierzehnjährige Hedwig, die nicht weiß, daß sie eines Tages blind wird. Die kleine Hedwig im Gespräch mit Gregers, von dem sie nicht weiß, daß er ihr großer Halbbruder ist. Die kleine Hedwig, die nicht ahnt, daß

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