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Mein grosser Bruder

Mein grosser Bruder

Titel: Mein grosser Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Berte Bratt
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betörendere Umgebung gewählt als die verwahrloste Hütte.
    Seine Absicht war wohl nur ein netter Ausflug gewesen und ein Küßchen, in Ehren. Und dann – na ja, dann hatte er also die Besinnung verloren, und ich hatte eine solche Angst gehabt, daß ich nicht einmal den Versuch gemacht hatte, ihn zur Vernunft zu bringen.
    Dies alles erklärte ich Johannes, und Helge Bentsen war jedenfalls so taktvoll, daß er aus unserem Gesichtskreis verschwand.
    Ich hatte meinen Kurs in Stenografie und Maschinenschreiben beendet. Johannes schlug mir vor, vom Herbst ab eine Stellung zu suchen. Im Sommer wollte er mir gern eine Reise spendieren. Ich durfte mir aussuchen: die See, das Gebirge, oder vielleicht eine Fahrt nach Deutschland?
    Ich konnte mich nicht sofort entscheiden, sondern dachte und grübelte für mich allein nach. Endlich kam ich zu einem Ergebnis und beschloß, auf eigene Faust zu handeln.
    Johannes hatte genug für mich bezahlt. Ich hatte doch Geld von meinem Vater geerbt. Ich mußte meinen Vormund bitten, mir etwas davon zu geben. Wie praktisch wäre es gewesen, wenn ich zum Beispiel in Deutschland gewohnt hätte, wo man schon mit achtzehn volljährig ist! Hier mußte ich warten bis zum 21. Geburtstag, und jetzt mußte ich also zum Vormund.
    Wenn ich Geld bekam, konnte ich wieder nach England reisen, mir eine Stellung suchen und fortkommen, sowohl von traurigen Erinnerungen als auch von Elsas und Johannes’ Flitterwochenglück. Das sollten sie allein genießen.
    Mein Vormund, der gute alte Advokat Mortensen, würde mir sicher die Fahrkarte nach England genehmigen und einige hundert Kronen dazu, damit ich mich einkleiden konnte.
    Darum ging ich eines Morgens in Advokat Mortensens Büro, das am anderen Ende der Stadt lag.
    Ich fand das Haus, den Eingang, die Etage. Ich klopfte an, und eine Stimme sagte: „Herein!“
    Ein dunkler, glatthaariger Kopf und ein schmaler Nacken waren das erste, was ich sah. Im nächsten Augenblick erfaßte mich ein Schwindel. Ich ergriff die Kante eines Tisches und hielt mich so fest, daß es in der Hand weh tat. „Torsten! Torsten!“
    „Bist du es, Vivi?“ Seine Stimme war ohne Freude.
    Nur ein Gedanke stand fest in meinem Kopf. Jetzt war die Gelegenheit da, jetzt konnte ich mich reinwaschen, und jetzt mußte ich es tun, schnell, ehe Torsten seiner Wege ging. Es war die Chance!
    „Torsten, höre mich an. Ich bin bei meiner Mutter gewesen an dem Abend. Sie war es, die mit Steffen Brede ein Stelldichein verabredet hatte! Verstehst du Torsten, ich mußte zu ihr, mußte verhindern, daß… daß… verstehst du, Torsten! Es ließ sich nicht vermeiden, daß Steffen Brede mich heimbegleitete. Torsten, höre mich an, jedes Wort ist wahr – ich habe dich nie, nie hintergangen, Torsten, und ich habe an dem Abend Höllenqualen gelitten – und seither…“
    Torsten stand still. Seine Augen begannen zu strahlen, und zum Schluß leuchteten sie. Sie glänzten klar und dunkelblau.
    „Vivi, wenn du von Höllenqualen sprichst – ich weiß, was das ist.“
    Dann stieß er mit dem Fuß den kleinen Tisch weg, der zwischen uns stand, und im nächsten Augenblick wußte ich, was man mit dem „Himmel auf Erden“ meint.
    War eine halbe Stunde, eine Stunde oder waren zehn Minuten vergangen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß wir Seite an Seite auf einem Tisch saßen und redeten, redeten…
    Torsten bekam alle Einzelheiten des Abends bei Mamilein zu hören. Er war der einzige auf der Welt, der dies je erfuhr.
    Dann war er an der Reihe zu berichten.
    „Bekam einen Job bei der Winterheringsfischerei. Ich habe entfernte Verwandte im Nordland, die es für mich ermöglichten. Wir hatten riesiges Glück und holten Tag und Nacht große Fänge herein. Ich hatte einen Anteil und kam heim mit genügend Geld, um zwei Monate lang wie ein Verrückter studieren zu können. Wagte es dann, ins Examen zu steigen. Hatte Dusel. Bekam Aufgaben, die glücklicherweise nicht die Lücken in meiner Weisheit berührten. Und dann Anstellung hier. Übrigens, was zum Kuckuck tust du denn hier?“
    Ich erzählte ihm auch das. Während wir sprachen, erschien Advokat Mortensen. Er kam gerade von einer Sitzung.
    „Ja, was sehe ich da. Bist du es, kleine Vivi? Mädel, bist du groß geworden, eine richtige junge Dame! Und hübsch noch dazu! Na, was hast du denn auf dem Herzen, Vivilein?“
    Ehe ich dazu kam, etwas zu sagen, antwortete Torsten und seine Augen leuchteten, wie ich es nie gesehen hatte.
    „Herr Advokat, Vivi

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