Mein Seelenauftrag
»Gesprächstechniken zur Beeinflussung des Wandels«). Er bestand in erster Linie aus einem Prozess, an dem drei Personen beteiligt waren: eine Zuhörerin, eine Sprecherin und eine – wie wir sagen – neutrale Beobachterin. Die Sprecherin sollte ein Thema erörtern, das ihr persönlich am Herzen lag und das für die Konferenz relevant war. Die Zuhörerin durfte ihre Worte nicht kommentieren. Sie sollte sich lediglich in dem üben, was alle drei lernen wollten, nämlich mit dem Herzen zuzuhören . Die neutrale Beobachterin sollte einen Rahmen schaffen, in dem sich sowohl die Sprecherin als auch die Zuhörerin sicher und akzeptiert fühlten. Im Anschluss sollte sie beiden konstruktive Rückmeldung darüber geben, wie erfolgreich ihnen ihr Part gelungen war. Hier der Bericht unserer Absolventin:
Am zweiten Tag des Workshops trudelten allmählich die Teilnehmerinnen ein. Ich konnte die Ankunft der beiden einflussreichsten Frauen beobachten, einer Palästinenserin und einer Israeli, die zufällig beide Psychiaterinnen waren. Ich wurde gebeten, ihre neutrale Beobachterin zu sein.
Als wir mit der Übung begannen, war ich ein wenig nervös – vor allem wegen der Palästinenserin. Sie war jung, militant, wütend und nahm ganz offensichtlich kein Blatt vor den Mund. Am Tag davor war sie aufgestanden und hatte ihrem Unmut aggressiv Luft gemacht. Sie war gekommen, um den Israelis ihre Position klarzumachen, und hatte keinerlei Bereitschaft erkennen lassen, irgendeine Lösung finden zu wollen. (Wie der Zufall es will, ist mein Vater ebenfalls Psychiater. Der große Geist hat wirklich Humor!)
Die Frauen hatten zwar eine Übungseinweisung bekommen, fingen aber ungeachtet der Struktur des Prozesses sofort an zu diskutieren. Es war eher, als machten die beiden Länder ihrem Groll und ihrer Feindseligkeit Luft, als dass es ein einfaches Gespräch zwischen zwei Frauen war. Ich unterbrach mehrmals mit der Bitte, sie mögen sich doch darin üben, mit dem Herzen zuzuhören , und abwarten, was geschieht. Ich hatte mich bestimmt schon vier Mal eingemischt, als das Gespräch eskalierte. Da waren zwei hochgebildete, intelligente und lebenserfahrene Frauen, die mit großer Leidenschaft sprachen. Sie können sich denken, was für ein Feuer in ihnen loderte.
Dann plötzlich »kapierte« es die israelische Psychiaterin. Sie hörte auf zu reagieren und fing an zuzuhören. Es war verblüffend. Als sie der palästinensischen Psychiaterin Raum gab, entspannten sich beide Frauen allmählich und fanden mehr in ihre Mitte. Ich konnte spüren, wie das Schicksal ihrer Länder von ihnen abfiel, als sie einander aufrichtig zuhörten, von Frau zu Frau. Die Authentizität ihres Austauschs bewegte mich tief.
Als wir den Prozess anschließend in einer größeren Gruppe besprachen, sagte die israelische Psychiaterin: Nach all den Jahren, in denen sie in ihrer Praxis und in Krankenhäusern gearbeitet und an der Universität unterrichtet habe, sei ihr klar geworden, dass sie noch nie wirklich zugehört habe. (Sie erzählte mir später, sie habe erkannt, dass sie bis dato beim Zuhören meist nur darauf gewartet habe, den Leuten zu sagen, inwiefern sie falschlagen.) Für mich war dies eine unglaubliche Erkenntnis, die zeigt, wie viel ein einstündiger Dialog bewirken kann, wenn es darum geht, die Veränderung eines lebenslangen Musters anzustoßen. Es war geradezu ein Wunder, dass sie sich sicher genug fühlte, diese Einsicht mit der ganzen Gruppe zu teilen.
Diese Frau sagte, in der Dreiergruppe sei ihr bewusst geworden, dass sie sich zwar stets für recht liberal gehalten habe, dass dies aber nicht genügte. Ihr sei klar geworden, dass die Anliegen der Palästinenser sehr viel tiefer gingen, als sie bislang angenommen habe. Sie sagte auch, sie sei ehrlich frustriert, nicht mehr für den Frieden in der Region tun zu können. Dies war ein wichtiger Einschnitt für sie, und wir hatten die große Gnade, Zeugen ihres Bewusstseinswandels sein zu dürfen.
Danach erhob sich die palästinensische Psychiaterin, um der Gruppe von ihrer Erfahrung zu berichten. Dieses Mal trat sie erheblich sanfter auf. Ihr fehlte die trotzige Wut, die sie zuvor an den Tag gelegt hatte, und sie sagte mit Tränen in den Augen, sie habe zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl gehabt, gehört zu werden: »Es war eine einschneidende Begegnung. Ich hatte nicht nur das Gefühl, gehört zu werden, sondern hörte auch selbst einer Israeli voller Akzeptanz zu und erfuhr dabei, dass sie ganz
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