0619 - Das Para-Mädchen
Über Château Montagne im südlichen Loire-Tal schien die Sonne. Winterlich kalt war es trotzdem, und Nicole Duval hatte ihrem Lebensgefährten und Chef, Professor Zamorra, gerade den Vorschlag gemacht, der Kälte für ein paar Tage zu entfliehen und den Karneval in Rio zu genießen.
Sommer auf der südlichen Halbkugel der Erde, heißblütige Menschen, die für ein paar Tage vergaßen, wie dreckig es ihnen ging, und einfach nur feierten, rund um die Uhr. Samba und Sangria, kaum bekleidete Mädchen und sonnengebräunte Männer, Lachen und Liebe, Ausgelassenheit und Taschendiebe.
Denen konnte man entgegenwirken, indem man nichts bei sich trug, was das Klauen lohnte. Deshalb zeigte Zamorra sich nicht ganz abgeneigt, auf den Vorschlag einzugehen. »Mit den Regenbogenblumen bis Florida und von dort aus per Flugzeug nach Rio«, überlegte er. Aber Nicole schüttelte heftig den Kopf.
»Nicht schon wieder Florida«, wehrte sie ab. »Da haben wir uns doch in den letzten Wochen lange genug herumgetrieben. Das erinnert mich nur wieder an Vampire, steinzeitliche Ungeheuer und einen wahnsinnigen Wissenschaftler, der glaubte, das Überleben der Menschheit nur sichern zu können, indem er Menschen in Insekten verwandelte! Nee, danke, Chef, aber an Arbeit möchte ich nicht erinnert werden, und so viel mehr kostet es doch auch nicht, von Paris aus zu fliegen. Urlaub darf ruhig etwas kosten… immerhin haben wir durch die Blumen in den letzten Jahren schon eine Menge Kosten gespart.«
Die magischen Regenbogenblumen, im Château und an verschiedenen anderen Stellen der Erde wachsend, ermöglichten es den Menschen, innerhalb von Sekunden von einer Blumenkolonie zur anderen zu wechseln und damit größte Entfernungen mit nur ein paar Schritten zurückzulegen.
Das vereinfachte ihre Aufgabe erheblich, die sie ständig rund um den Erdball führte, um gegen Dämonen, Zauberer und andere schwarzmagische Kreaturen zu kämpfen.
»Na gut«, beschloß Zamorra. »Deine Idee, deine Arbeit - du darfst also den Reiseplan erarbeiten.«
»Das darf ich doch auch, wenn es eine deiner Ideen ist«, seufzte Nicole. »Aber wenigstens darf ich auch einen Kurzaufenthalt in Paris einplanen. In der Avenue Montaigne und der Rue du Faubourg-St. Honoré gibt's ein paar nette Boutiquen mit tollen Klamotten, und du darfst auch die Mitnahme deines Scheckheftes und deiner netten Kreditkarten einplanen…«
Zamorra schüttelte energisch den Kopf.
»Ich mache das mit dem Zeitplan und den Flugtickets doch lieber selbst«, erklärte er und machte sich auf den Weg in Richtung Arbeitszimmer.
Nicole grinste hinter ihm her. »Aber, cheri, ich hab' doch mal wieder nichts anzuziehen«, flötete sie verwegen.
Er wandte sich im Korridor um und betrachte Nicole prüfend, die sich ihm als lebenden Beweis für ihre Behauptung in unverhüllter Schönheit präsentierte.
»Das trifft sich ja gut«, erklärte er. »Beim Karneval in Rio brauchst du höchstens ein paar Blumen oder etwas Schmuck auf der Haut zu tragen… da sparen wir wieder ein, was der Flug mehr kostet…«
»Wüstling!« fauchte sie mit vergnügt funkelnden Augen; immerhin war sein Vorschlag mit den Blumen und etwas Schmuck bei dem um diese Jahreszeit in Brasilien vorherrschenden Klima nicht mal der schlechteste Gedanke. Und dieses ›Bekleidungs‹-Minimum wäre das letzte gewesen, was Nicole gestört hätte, weil sie gern zeigte, was sie an Schönheit zu bieten hatte. »Geizkragen! Du gönnst mir aber auch gar nichts!«
»Dafür gönne ich mir um so mehr«, erwiderte er heiter, wandte sich wieder um und stieß mit dem Drachen zusammen.
Einszwanzig groß, rundlich beleibt - um nicht zu sagen fett -, mit grünlichbrauner Schuppenhaut, einem bis zur Schweifspitze reichenden Rückenkamm aus dreieckigen Hornplatten, für die Körpermasse zu kleinen Flügeln, großen Telleraugen und einem Krokodilkopf, aus dessen geöffnetem Maul und den geblähten Nüstern Rauch als Vorbote des Feuers quoll.
Vor über zwei Jahren war ihnen der Jungdrache zugelaufen; Butler William hatte ihn gewissermaßen adoptiert und ihm den offiziellen Namen MacFool gegeben. Der Drache war vorlaut und tolpatschig und brachte, salopp gesprochen, auf jeden Fall immer wieder Schwung in den Laden. Nicht immer zum Vergnügen der menschlichen Château-Bewohner.
»He, ist das eine Art, anständige Drachen über den Haufen zu rennen?« maulte Fooly. »Aber gut, daß ich dich gerade treffe, Chef. Ich muß dich was fragen.«
Zamorra verdrehte
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