Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
auch bis heute in unserer Familie durchgezogen: Mama brachte mir viel bei. Wenn man mal von meinem Kleiderschrank absieht, bin ich ein sehr ordentlicher Typ, putze gründlich und koche gern. Die albanische Küche habe ich noch nicht so ganz drauf, aber das deutsche Essen oder die italienische Küche ist gar kein Problem. Kartoffelund Nudelgerichte – damit könnte ich in jeder Fernsehkochsendung auftreten.
Von dem, was meine Mama mir beibrachte, habe ich viel übernommen und es gehört wie selbstverständlich zu meinem Leben. Ich war auch zu Hause in Mönchengladbach immer jemand, der mit anpackt – typisch Frau? Im Gegensatz zu meinen
zwei verwöhnten Brüderchen, die so gut wie gar nichts im Haushalt erledigen mussten und dementsprechend auch kaum mithalfen. Das hat wohl auch ein bisschen mit unserer Herkunft und der dortigen traditionellen Rollenverteilung zu tun. Einiges konnte sich in die heutige Zeit hinüberretten …
Selbst bis zum Tod wurde damals im Kosovo eine strikte Geschlechtertrennung durchgezogen. Als Papas Opa Ali starb, trauerten die Männer und Frauen in unterschiedlichen Räumen. Man nimmt dann Abschied vom Verstorbenen, die Leiche liegt aufgebahrt in dem Raum, in dem die Männer versammelt sind. Weil ich noch ein kleines Kind war und damit noch nicht dieser strikten Trennung unterlag, hat mich mein Onkel Schemsi ins Leichenzimmer geholt und gesagt: »Komm, du singst jetzt für uns.« Ich trällerte wohl damals zu jeglichen Anlässen. Immer wenn Gesang verlangt war, durfte die kleine Lira herhalten. Ich musste damals also auch vor dem toten Urgroßvater Lieder singen. Das war für mich Dreikäsehoch Horror. Ich hatte vorher noch nie eine Leiche gesehen und ein Schauer überläuft noch heute meinen Rücken, wenn ich daran denke, wie mein Uropa so aufgebahrt dalag.
Für meinen Geschmack waren die Traditionen und Vorstellungen damals schon extrem rückständig. So lernten sich meine Eltern Ismet und Ganimet etwa erst zur Hochzeit kennen. Ihre Familien hatten beschlossen, dass die beiden heiraten sollten. Damit gehörten sie im Kosovo beileibe nicht zu den großen Ausnahmen. Alle Familien haben das so gemacht, da konntest du dich echt glücklich schätzen, wenn du einen einigermaßen akzeptablen Partner abbekommen hast. Heute ist das dort übrigens auch anders. Sicher gibt es noch den einen oder anderen, der im Kosovo altmodischer denkt als vielleicht die meisten in Deutschland, aber selbst dort hat die Emanzipation um sich gegriffen. Die Frauen gehen Geld verdienen und suchen sich ihre Ehemänner gründlicher und freiwillig aus.
Meine Eltern sahen sich also das erste Mal bei der Trauung. Na gut, Papa hatte vorher schon mal seine Braut von Weitem begutachtet und abgenickt, aber meine Mama durfte ihren
Ehemann wirklich erst zur Hochzeit sehen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich einen wildfremden Menschen heiraten müsste, wird mir ganz anders. Hilfe! Meine Mama sagte mir einmal: »Zum Glück habe ich wirklich einen netten Ehemann abbekommen.« Dennoch habe sie sich schon sehr komisch dabei gefühlt, einen fremden Mann zu heiraten. Da diese arrangierten Hochzeiten allerdings eine gängige Tradition waren, hat es meine Mama aber auch nicht als völlig daneben empfunden. Das war damals in den 80er-Jahren im Kosovo so, dem musste sich auchmeine Mutter unterordnen. Man kannte es nicht anders. Mama hatte nur Angst davor, dass sie einen Tyrannen abbekommt. Man hört ja manchmal so unschöne Dinge.
Natürlich holte auch meine Mutti im Vorfeld ein paar Informationen über ihren baldigen Ehemann ein. Sie konnte ganz gut recherchieren, denn Papas und Mamas Familien überschnitten sich schon ein wenig. Bald wusste Mama auch: Der Ismet ist gar kein schlechter Typ. Das hat sie beruhigt. Eingefädelt wurde der Deal übrigens von Elfet, also der älteren Schwester von meinem Papa. Die ist nämlich mit Adem, einem Cousin von Mamas Vater verheiratet. Ja, ja, wir sind da unten alle irgendwie miteinander verwandt und verschwägert. Elfet ist übrigens die Mama von meiner Cousine Mimi
und meinem Cousin Mentor. Ganz schön kompliziert, gell?! Jedenfalls sahen Papas Schwester und ihr Ehemann meine Mama Ganimet zufällig und waren begeistert: »Die ist hübsch, die ist groß, die wäre etwas für Ismet.«
Ist das nicht ein junges Glück: Meine frischverliebtenEltern auf einer Bergwanderung im Kosovo
Gesagt, getan! Am 28. Dezember 1985 wurde geheiratet. Drei Tage lang. Papa hat, bevor er zur Armee musste, die Verlobung
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