Mein Tor ins Leben - Bajramaj, L: Mein Tor ins Leben
klargemacht – viele Monate vor der Hochzeit. Und ohne seine Braut so richtig zu sehen! Papa verließ sich da einfach auf seine Schwester Elfet und auf seinen Vater Ramush, der Ganimet schon mal flüchtig begegnet war. Zum Glück passte das mit meinen Eltern wirklich gut, denn ein »Umtausch« war zur damaligen Zeit ausgeschlossen.
Viele von diesen arrangierten Ehen gingen in die Brüche, da harmonierte es auf Dauer nicht. Ich frage mich heute noch, was man mit einem wildfremden Mann redet, den man gerade geheiratet hat? »Schönes Wetter heute.« Oder: »Wie geht’s?« Aber die Chemie zwischen Mama und Papa hat wohl gleich gestimmt. Das passt bis heute optimal. Sie feiern bald Silberhochzeit, sind dann 25 Jahre verheiratet – Wahnsinn! Trotzdem haben sie sich immer noch unheimlich viel zu sagen, lachen oft und gern miteinander und lieben sich wirklich. Ihnen geht es heute noch schlecht, wenn sie ein paar Tage ohne den anderen auskommen müssen. Die schwere Zeit rund um die Flucht hat beide noch mehr zusammengeschweißt. Ich freue mich immer noch über diese unglaubliche Ehe-Geschichte meiner Eltern – was für ein Glück sie hatten!
Als einige Zeit nach der Hochzeit meiner Eltern mein großer Bruder Fatos auf die Welt kam, war die Freude groß. Ein Sohn! Papa betüttelte den kleinen Kerl sofort. Bei mir war das wohl anders, auch wenn Papa das nicht mehr zugeben will. Meine Mama wünschte sich insgeheim eine Tochter. Sie hat immer gesagt: »Lieber Gott, mach, dass ich ein Mädchen bekomme, dem ich bunte Schleifchen ins Haar flechten kann.« – Nur zur kurzen Erklärung: Auch wir Muslime glauben an einen Gott und verwenden deshalb ebenso diesen Begriff. – Ich erblickte zwei Jahre nach Fatos das Licht der Welt – und die Freude war
nicht gerade überschäumend. Zumindest nicht bei meinem Vater. »Was? Ein Mädchen?«, sagte er ungläubig zu meiner Mama. Zwei Tage nach meiner Geburt hat Papa uns abgeholt und mich, glaub ich, noch nicht mal richtig angeschaut, geschweige denn in den Arm genommen. Ich hatte damals eine sogenannte Neugeborenengelbsucht, sah nicht ganz so schnuckelig aus – darauf schiebt es mein Papa heute immer. Männer sind so einfach gestrickt … Aber mal ehrlich: Jungs waren halt im Kosovo schon ein bisschen mehr wert. Da kommt eine neugeborene Tochter gar nicht gut an. Meine Mama hat damals geweint wie ein Schlosshund.
Wie man sieht, hatte ich Papa bald gut im Griff
Heute können wir alle darüber lachen. Mein Papa hat das mit dem In-den-Arm-Nehmen wirklich sehr oft nachgeholt und ist mächtig stolz auf seine kleine Prinzessin. Ich glaube, es war bei ihm wie bei allen anderen Vätern mit Töchtern: Wenn die kleinen Mädchen erst einmal auf der Welt sind und sich einigermaßen artikulieren können, haben Papas keine Chance. Sie erliegen dem weiblichen Charme und lassen sich problemlos
um den Finger wickeln. Da kommt bei den Vätern der Beschützerinstinkt besonders durch. Seit ich denken kann, habe ich Papa ziemlich gut im Griff …
Soweit zu unserer doch recht harmonischen Familiengeschichte. Doch das Drumherum war weit weniger friedlich: Damals, in meinen Kindertagen Anfang der 90er-Jahre, wurde es in meinem Geburtsland brenzlig. Es gab Unruhen, die Lage für uns Kosovo-Albaner wurde zunehmend schwieriger. Um das zu verstehen, muss man ein wenig über unser Land wissen. Jugoslawien war ein künstlich zusammengehaltener Vielvölkerstaat, der in unterschiedlicher Form Bestand hatte: zunächst als Monarchie von 1918 bis 1941 – es nannte sich d amals »Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen« -, ab 1929 hieß es Jugoslawien, das als sozialistischer und föderaler Staat von 1945 bis 1991 zuletzt als Bundesrepublik Jugoslawien existierte.
Um den Balkan stritten seit dem 19. Jahrhundert mehrere Staaten, etwa die Donaumonarchie Österreich-Ungarn und Russland. In den beiden Balkankriegen 1912 und 1913 kämpften viele ethnische Gruppierungen gegeneinander. Alle beteiligten Völkerschaften ermordeten und vertrieben unglaublich viele Zivilisten der jeweils anderen Völker. Schließlich fiel der überwiegend von Albanern besiedelte Kosovo an das Königreich Serbien.
Im Ersten Weltkrieg wurde Serbien besetzt, die Besatzer wie Österreich waren von der breiten Bevölkerung sogar lieber gesehen als die Serben. Es organisierten sich Widerstandsbewegungen der Kosovo-Albaner gegen die Serben, Aufstände gab es bis in die 20er-Jahre. Aber: Serbisch wurde Amts- und Unterrichtssprache,
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