Mein wunderbarer Brautsalon
Laden zu verkaufen, aber im Gegensatz zu heute war das Geschäft hoch verschuldet, meine Eltern hatten – immer in der Hoffnung, dass sich die Zeiten bessern würden – fast ihr gesamtes Vermögen hineingesteckt, um den »Brautsalon Hübner« vor dem Konkurs zu retten. Ein Verkauf war also nicht möglich, mein damals zehnjähriger Bruder Rufus, meine Großmutter und ich hätten völlig mittellos dagestanden. Also übernahm ich den Laden und ließ mein Studium sausen. Ich kann noch nicht einmal behaupten, dass mir diese Entscheidung damals sonderlich schwer gefallen ist. Immerhin gab es Clara nicht mehr. Clara, mit der ich so große Pläne gehabt hatte, die mir plötzlich so sinnlos erschienen. Nur manchmal denke ich noch daran, was ich eigentlich hätte tun wollen.
Ich mache mich wieder daran, die neue Ware zu begutachten und ein paar Stücke fürs Schaufenster auszuwählen. Es ist höchste Zeit für eine neue Dekoration, im Januar beginnt die Saison, weil sich dann alle Frauen, die im Vorjahr ihren Antrag bekommen haben, auf die Suche nach dem richtigen Kleid für ihre Hochzeit begeben.
Nach zwanzig Minuten steht meine Auswahl fest, nur das Modell, das ich mir beim Vertreterbesuch bereits für das große Hauptschaufenster ausgeguckt hatte, habe ich noch nicht entdeckt: »Gisele« von Lohrengel, ein champagnerfarbener Mädchentraum aus Satin und Tüll: das Neckholder-Oberteil mit aufgestickten Blumen in Rosenholz, der ausgestellte Rock mit opulenten Ballon-Layers, unter dem die gleiche Tüllspitze wie im Oberteil hervorlugt.
Suchend blicke ich mich um und ärgere mich, dass ich bei der Anlieferung nicht persönlich da war und Britta die Ware entgegengenommen hat. Britta ist zwar für ihre einundzwanzig Jahre eine hervorragende Verkäuferin und Schneiderin – aber ihr Ordnungssystem gibt mir mehr als Rätsel auf. Ich wandere an den Stangen mit den Kleidern entlang: Fast alle Marken sind schon da, nur Lohrengel kann ich nirgends entdecken. Aber ich bin mir ganz sicher, dass sie schon Anfang der Woche geliefert haben. Ich gehe rüber in die Verkaufsräume.
»Britta?«, rufe ich. Keine Antwort. »Britta? Sind Sie da?« Ich höre ein lautes Rumpeln aus der kleinen Teeküche, zwei Sekunden später steht Britta mit hochrotem Kopf vor mir.
»Äh, ja, was ist denn?« Sie fährt sich mit der Zunge über die Lippen und streicht sich mit der Hand durch ihre kinnlangen schwarzen Haare. »Stimmt etwas nicht?«, will ich wissen, weil sie einen leicht derangierten Eindruck macht. »Nein, nein, ich war nur … irgendwie eingenickt.« »Ach so.« Ich muss innerlich schmunzeln. »Sie waren wohl gestern Abend länger aus, was?«
»Äh, nein«, widerspricht Britta, »ich hab nur schlecht geschlafen.« Während sie das sagt, läuft sie noch röter an und sieht beinahe aus wie eine Tomate. Da habe ich wohl doch ins Schwarze getroffen. Na ja, in dem Alter konnte ich auch noch bis morgens um fünf um die Häuser ziehen. Aber mittlerweile streiche ich spätestens um ein Uhr nachts die Segel, wenn mein kleiner Bruder mich mal dazu überredet, mit ihm auf die Reeperbahn zu gehen. »Komm schon, Alder«, fordert er mich hin und wieder im übertriebenen Gangsta-Slang auf, »lass mal ein paar Mädels klarmachen!« »Mach du mal lieber dein Studium klar«, antworte ich dann meistens.
Rufus ist nämlich ein kleiner Lebenskünstler, der von Jura über Geschichte bis hin zu Medizin schon alles mal angefangen – und leider auch immer schnell wieder abgebrochen hat. Zwischendurch möchte er dann Pilot, Unternehmensberater oder Musiker werden oder bei mir im Geschäft einsteigen, je nach Laune und Tageszeit. Und was die Damen der Schöpfung betrifft, ist er in etwa genauso stetig, ich mache mir nicht mehr die Mühe, mir ihre Namen zu merken. Dabei ist er tief in seinem Herzen ein wirklich feiner Kerl, und ich muss zugeben, dass Oma und ich ihn wahrscheinlich ein kleines bisschen verzogen haben.
»Was gibt es denn?«, reißt Britta mich aus meinen Gedanken. »Ach so, ja, ich wollte wissen, wo die Kleider von Lohrengel sind.« »Hab ich gestern schon durchgeguckt und einsortiert.« »Aha.« Eigentlich mache ich das immer gern selbst, aber nachdem Britta schon seit zwei Jahren bei mir arbeitet, ist es vielleicht sogar ganz gut, wenn sie etwas mehr Eigenständigkeit entwickelt. »Und das Modell ›Gisele‹, das ich fürs große Schaufenster nehmen wollte?«
»Das hab ich vorhin dekoriert, während Sie im Lager waren.« Sie lächelt mich stolz
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