Mein wunderbarer Brautsalon
nach Hause zu fahren. Lange genug waren sie mir mit ihren Machosprüchen auf den Wecker gegangen, ich war von Anfang an ein Außenseiter gewesen. Vor allem, nachdem ich unvorsichtigerweise erzählt hatte, dass ich zum Sommersemester einen Studienplatz an der Fachhochschule Hamburg hatte. Für Modedesign. Man kann sich vorstellen, was danach los war. »Rüschen-Christoph« oder »Das tapfere Schneiderlein« wurde ich genannt, das fanden die Hohlköpfe offensichtlich lustig.
Dafür steckte ich sie bei den Übungen allesamt in die Tasche, und so mancher wunderte sich, wie man mit Nadel und Faden zu einer derartigen Kondition kommt. »Hat ja echt was drauf, die Mode-Tucke« und ähnliche Kommentare hörte ich sie nuscheln. Ein Klischee, das mich bis heute nervt, schließlich ist nicht jeder Designer schwul. Es gibt auch Ausnahmen: Ralph Lauren, zum Beispiel. Willy Bogner, Roberto Cavalli, Yohji Yamamoto. Aber ich verzichtete darauf, das meinen Kumpanen zu erläutern und ihnen auseinander zu setzen, dass die meisten der erwähnten Männer wahrscheinlich dickere Autos fuhren, als diese Schwachköpfe sich jemals würden leisten können. Vielleicht hätte sie das beeindruckt – aber wahrscheinlich hätten sie Yamamoto für ein japanisches Reisgericht gehalten.
Wie gesagt, ich war also durch mit der Bundeswehr, endlich konnte mein richtiges Leben beginnen! Nach Abitur und zweijähriger Schneiderlehre würde ich mein Studium anfangen und schon bald die internationalen Catwalks von Paris, Mailand und New York erobern. Zusammen mit meiner Freundin Clara, die ich während der Lehre kennengelernt hatte, wollte ich ein eigenes Label gründen und damit mindestens so erfolgreich werden wie Yves Saint Laurent oder Giorgio Armani. Dann irgendwann heiraten (früher konnte ich mir das noch vorstellen), beide natürlich in eigenen Entwürfen, drei Kinder in die Welt setzen und unser Leben an der französischen Riviera genießen. Das waren unsere Träume, auch wenn Clara manchmal mit ihrer typisch sarkastischen Art feststellte: »Mal sehen, was die Zukunft bringt. Das einzig Sichere im Leben ist der Tod.« Meistens lachte sie dann, zog ihre Stupsnase mit den vielen Sommersprossen kraus, gab mir einen Kuss und fügte dann hinzu: »Und dass ich dich liebe, das ist natürlich auch sicher!«
Ich weiß noch heute, wie Clara mit meinen Eltern draußen vor der Kaserne auf mich wartete, um mich abzuholen. Wie ich auf sie zurannte, mein Mädchen lachend in den Arm nahm und durch ihr kurzes, blondes Haar strubbelte. »Endlich frei!«, jubelte ich. »Endlich wieder ganz bei dir!«
Zehn Minuten später wurde unser Auto auf der Bundesstraße 77 zwischen Schleswig und Busdorf von einem LKW gerammt. Außer mir hat niemand überlebt.
»Christoph? Bist du hinten im Lager?« Die Stimme meiner Großmutter Hilde reißt mich aus meinen Gedanken. Kaum dreißig Sekunden später wird auch schon die Tür aufgerissen, und das freundliche, zerknitterte Gesicht meiner fünfundachtzigjährigen Oma lächelt mich an.
»Ich habe Frau Steffens am Telefon«, erklärt sie. »Sie möchte wissen, wann sie zur nächsten Anprobe vorbeikommen kann.«
»Moment«, antworte ich und versuche meine Gedanken zu sortieren. Steffens, rattert es durch meinen Kopf, reinweißes Kleid von Eddy K., Korsage ein bisschen zu eng. Ich drehe mich zur Kleiderstange hinter mir, auf der die bereits verkauften Modelle hängen, die noch geändert werden müssen, und lasse meinen Blick über die Zettel an den Schutzfolien gleiten. Steffens, da ist es. Britta hat mit einem Häkchen auf dem Änderungsschildchen vermerkt, dass sie das Oberteil bereits ausgelassen hat. »Ist fertig«, teile ich meiner Oma mit. »Frau Steffens soll für nächste Woche einen Termin vereinbaren.«
»Gut, ich sage es ihr.« Schon will sie die Tür hinter sich schließen, da verharrt sie noch einen Moment und sieht mich etwas besorgt an. »Alles in Ordnung, mein Junge?« Ich nicke. »Es sind nur manchmal noch die Erinnerungen.« Sie schweigt einen Moment und nickt dann ebenfalls langsam und bedächtig.
»Ich weiß.« Sie zieht die Tür ins Schloss und lässt mich wieder allein. Ich seufze tief.
Für meine Großmutter war es natürlich auch nicht einfach. Durch den Unfall verlor sie ihren einzigen Sohn und ihre Schwiegertochter. Zuerst versuchte sie, das Brautgeschäft meiner Eltern allein zu führen, war damit aber vollkommen überfordert. Immerhin war sie damals schon dreiundsiebzig Jahre alt.
Wir überlegten, den
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