Meine Kinderjahre
bei uns ein. Die Grenadiere hatten von Wollin her einen viermeiligen Marsch durch sandige Kiefernheide machen müssen und kamen ziemlich marschmüde an, trotzdem sie sich, während der Bootfahrt von einem Flußufer zum andern, wieder erholt hatten. Wir Jungens standen am Bollwerk und staunten die schönen großen Leute an, an die zunächst Quartierbilletts verteilt wurden. Mein Freund Oskar Thompson und ich hatten uns etwas vorgedrängt und studierten die Achselklappen.
»Hast du es raus?« fragte ich.
»Ja«, sagte Thompson, »es ist ein R und heißt Rex.«
»Unsinn. Du mußt doch wissen
Kaiser
Franz. Kaiser und Rex geht nicht.«
»Na, denn sage was Besseres.«
»Es heißt Franciscus Imperator. Es ist ein F und ein I ...«
»Nein, mein junger Freund«, sagte jetzt, sich rasch umwendend, der die Kompanie führende Hauptmann, ein sehr gütig aussehender Herr mit goldner Brille, »es ist kein I, sondern eine römische I und es heißt: Franz der Erste.«
Mir schoß das Blut in die Stirn, und ich zog mich, unsicher, ob ich ihm vielleicht danken müsse, verlegen zurück. Gleich danach aber sah ich, wie der Hauptmann einen jungen Offizier, der kaum zwanzig sein mochte, heranrief und mit diesem ein paar Worte wechselte. Dieser junge Offizier wurde bald der Liebling aller Damen und ein Gegenstand ihrer lebhaften Neugier. Er hieß von Witzleben und war der Sohn des Obersten von Witzleben, der, damals in Dresden wohnend, unter dem Namen A. W. Tromlitz seine im Walter-Scott-Stil gehaltenen Romane schrieb. Er (Tromlitz) war als Schriftsteller sehr gefeiert, mehr als wir uns das heute denken können, sein Sohn aber wurde später mein besonderer Gönner, eine Gönnerschaft, der er in dem von ihm redigierten Militärwochenblatt in anerkennenden Worten über meine die Kriege von 1864, 66 und 70 behandelnden Bücher Ausdruck gab. Er ist darin als Militär einzig dastehend geblieben, weil die militärischen Fachleute gegen die Schreibereien eines »Péquin« ein für allemal eingenommen sind. Ob sie darin recht haben? Ich glaube nicht, wenigstens nicht ganz. Alle diese Dinge liegen mir jetzt weit zurück, und der Wert oder Unwert dessen, was ich damals über unsre Kriege geschrieben habe, bedeutet mir nicht viel mehr. Ich darf auch hinzufügen, daß ich, auf jedem Gebiete, für Autoritäten bin, also, was so ziemlich dasselbe sagen will, das Urteil von Fachleuten bevorzuge. Trotzdem können auch Fachleute zu weit gehen, wenn sie Verständnis für ihre Sache für sich ausschließlich in Anspruch nehmen. Es gibt konventikelnde Leineweber, die die Predigt eines Oberkonsistorialrats sehr wohl beurteilen können, und es gab immer Farbenreiber, die sich sehr gut auf Bilder verstanden. In neuerer Zeit sind Auktionskommissarien an ihre Stelle getreten. Es liegt auf militärischem Gebiete nicht viel anders, wenn es überhaupt anders liegt, dessen sind die Revolutionskriege, die seit hundert Jahren geführt werden, ein beredter Zeuge. Heute noch Kellner oder Friseur und nach Jahr und Tag ein Schlachtenlenker. Und was in praxi hundertfältig geleistet wird, das kann doch auch auf theoretischem Gebiete nicht zu den Unmöglichkeiten zählen. Ich nenne hier einschaltend nur den Namen Bernhardi. Gewiß, die Laienschaft hat sich zunächst zu bescheiden, aber sie darf doch gelegentlich mitsprechen, ja selbst Vorzüge für sich in Anspruch nehmen: größere Freiheit und unbefangeneres In-Rechnung-Stellen außermilitärischer Faktoren, vor allem der sogenannten Imponderabilien. Im letzten ist Kriegsgeschichtsschreibung doch nichts anderes als Geschichtsschreibung überhaupt und unterliegt denselben Gesetzen. Wie verläuft es? Ein reiches Material tritt an einen heran, und es gilt, unter dem Gegebenen eine Wahl zu treffen, ein »Für oder Wider«, ein »Ja oder Nein« auszusprechen. Auch die Darstellung des Kriegshistorischen ist zu sehr wesentlichem Teile Sache literarischer und nicht bloß militärischer Kritik. Ordnen und Aufbauenkönnen ist wichtiger als ein reicheres Wissens- und Erkenntnismaß, und alles in allem kann ich nicht einsehen, warum es leichter sein soll, über den Charakter Wallensteins als über den Gang der Schlacht bei Großbeeren ins klare zu kommen.
Mein Gönner von Witzleben – er war zuletzt General – hat sichs natürlich nicht träumen lassen, daß mich sein Wohlwollen zu solchen Betrachtungen hinreißen würde, vielleicht wär er sonst ein wenig härter mit mir verfahren. Aber so oder so, ich kehre zunächst zum
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