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Meine Kinderjahre

Meine Kinderjahre

Titel: Meine Kinderjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Mitlebenden unterrichtet zu sein glaube. Griechische Brander stecken die türkische Flotte in Brand, das Bombardement von Janina (mit einer platzenden Riesenbombe im Vordergrund), Marco Bozzaris in Missolunghi, General Diebitsch Sabalkanskis Einzug in Adrianopel, die Schlacht bei Navarino – all das steht in einer Deutlichkeit vor mir, als wär ich mit dabei gewesen, und läßt es mich nicht bedauern, meine früheste zeitgeschichtliche Belehrung aus einem Guckkasten erhalten zu haben.
    Von Sommer 1830 an trat aber die Zeitung an die Stelle des durch Beleuchtungskünste verschönten und vergrößerten Gustav Kühnschen Bilderbogens, und ich sehe mich noch am Bollwerk stehen und auf das Anlegen der »Kronprinzessin Elisabeth«, des von Stettin kommenden Dampfers, warten, der täglich die Zeitungen mitbrachte. Mein Vater war natürlich auch mit an der Landungsbrücke, meist in Gesellschaft von Freunden. Waren es nun Freunde von der »milderen Observanz«, das heißt solche, von denen keiner nach dem in ziemlicher Nähe gelegenen Spielpavillon hinüberlugte, so unterließ ers nicht, sich sofort in die Neuigkeiten zu versenken, waren aber umgekehrt etliche von den entschlosseneren Freunden zugegen, also von denen, deren Gedanken in derselben Richtung gingen wie die seinigen, so tat er nur einen flüchtigen Blick in die Zeitung und übergab mir dann diese, mit der ich nun in fliegender Eile nach Hause stürmte. Der Gehilfe, den wir damals hatten, war mein guter Freund und brannte auf Neuigkeiten nicht viel weniger als ich, ja, hätte am liebsten gleich selbst gelesen. Es war aber immer Mittagstunde, wo ziemlich viel zu tun für ihn war, und so fiel mir denn nicht bloß die Wonne des Lesens, sondern sogar die des Vorlesens zu. Hinter dem Rezeptiertische, wo man sich vor Enge kaum drehen konnte, war doch noch nahe dem Fenster ein freier Winkel geblieben, in dem ein eingesessener Binsenstuhl gerade Platz hatte. Da ließ ich mich nun nieder, während ich die Füße zugleich auf einen etwas vorgezogenen Kasten stemmte, von außen her aber, wo die dichtbelaubten Kastanien standen, fielen die Lichter und Schatten auf das aufgeschlagene Blatt. Und nun begann die Lektüre, die sich durch den ganzen Sommer hin fast ausschließlich auf das unter der Überschrift
»Frankreich«
Stehende beschränkte. Polignacs Ordonnanzen interessierten mich wenig. Als dann aber die französische Flotte unter Admiral Duperré vor Algier erschien und die Beschießung anhob und dann General Berthézène mit seiner Division den Kirchhof in Nähe der Stadt angriff und nahm und der Dey mit seinem Harem um freien Abzug bat, da kannte mein Entzücken keine Grenze, das auch nicht voll mehr erreicht wurde, als ich hörte, daß Karl X. gestürzt und Louis Philipp König geworden sei. Von großem Eindruck auf mich war erst wieder die Nachricht, daß in Brüssel bei Aufführung der »Stummen von Portici« die Revolution ausgebrochen sei, und zwar gerade bei der Stelle: »Dem Meertyrannen gilt die wilde Jagd«; ich fand dies unbeschreiblich schön, vielleicht in der dunklen, für eine Poetennatur immerhin schmeichelhaften Vorstellung, daß hier ein Lied eine politische Tat geweckt oder gezeitigt habe.
    Das war der Sommer 30. Aber was war der Sommer gegen den Winter! Ende November brach in Nachwirkung der Ereignisse in Frankreich und Belgien die Insurrektion in Polen aus. Großfürst Konstantin wurde flüchtig, und nachdem man auf beiden Seiten gerüstet, kam es zu Beginn des folgenden Jahres zu den blutigen Schlachten bei Grochow und Ostrolenka. Die Namen von damals prägten sich mir so tief in die Seele, daß ich, als ich ein Menschenalter später in den zufällig mir zu Händen kommenden Briefen der Rahel Levin den Namen Skrzynecki und Rybinski begegnete, wie auf einen Schlag den Insurrektionskrieg von 30 und 31, einen der erbittertsten, die je ausgefochten wurden, wieder vor Augen hatte. Kein anderer Krieg, unsere eigenen nicht ausgeschlossen, hat von meiner Phantasie je wieder so Besitz genommen wie diese Polenkämpfe, und die Gedichte, die an jene Zeit anknüpfen (obenan die von Lenau und Julius Mosen), und dazu die Lieder aus Holteis »Altem Feldherrn« sind mir bis diese Stunde geblieben, trotzdem die letztren poetisch nicht hoch stehen. Viele Jahre danach, als ich dicht am Alexanderplatz eine kleine Parterrewohnung inne hatte, stellte sich allwöchentlich einmal ein Musikantenehepaar vor meinem Fenster auf, er, blind, mit einer Klapptuba, sie,

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