Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine Seele weiß von dir

Meine Seele weiß von dir

Titel: Meine Seele weiß von dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ludwigs
Vom Netzwerk:
mir erklärt hatte, warum das so ist. Und was ich bisher nur aus Romanen und Filmen kannte.
     
    *
     
    „Blackout!“, dröhnte er. Bezwang sich dann und fuhr gemessener fort: „Sie leiden an einer sogenannten retrograden Amnesie. Oder, weniger medizinisch ausgedrückt, an einem kompletten Gedächtnisverlust für alles, was vor Ihrem Badeunfall passiert ist . “ Er meinte, dass dies bei Kopfverletzungen relativ häufig vorkomm e .
    „Ach?“, machte ich ratlos.
    „Ja. Nun, das wird schon wieder, keine Sorge, Frau Hohwacht“, versuchte er mich zu beruhigen.
    Ich fiel in sein Nicken ein.
    Eine Woche zog sich hin. Endlose Tage voller Untersuchungen, psychologischer Gespräche, Verzweiflung und einsamer Stunden im Kleiderschrank. Ich suchte nach mir, doch ich konnte mich nicht finden.
    Eine Verbesserung meines Zustandes stellte sich nicht ein. Das heißt, die durch meine Gehirnerschütterung verursachten Kopfschmerzen verschwanden und die Fäden der Platzwunde, die mit sechs Stichen genäht worden war, konnten gezogen werden. Außerdem verflüchtigte sich die Beule an meinem Hinterkopf, auch die gerissenen Trommelfelle verheilten allmählich.
    Aber erinnern, erinnern konnte ich mich nicht.
    Doktor Romberg wirkte während dieser Zeit auf mich wie ein schlaksiger Junge, der Arzt spielt. Wie konnte so ein junger Mann bereits ausgebildeter Mediziner sein? Vorgestern leuchtete er mit einer winzigen Taschenlampe, die mit der Helligkeit eines Lasers auf meine Pupillen traf, in meine Augen.
    „So weit, so gut“, nuschelte er gedankenvoll. Er löschte das Lämpchen und ließ es in der Brusttasche seines Kittels verschwinden wie ein Taschenspieler. „Ich überlege, ob ich Professor Breitner hinzuziehe. Verstehen Sie, es gibt Patienten, die sich an Teile ihres Lebens vor ihrem Unfall nicht erinnern. An kleine Fragmente, größere und mitunter sogar sehr große. Aber, ehrlich gesagt, mir ist weltweit kein einziger Fall bekannt, bei dem ein Patient sein komplettes persönliches Leben einfach vergessen hat. D avon habe ich noch nie gehört!“ E s klang noch immer gelinde erstaunt an, wenn er darüber sprach. Als hätte er gerade vor einer Minute seine Diagnose erstellt und nicht schon vor Tagen.
    Ich blinzelte. Blinde, nebelartige Flecken tanzten vor meinen Augen, sodass ich alles ein bisschen gedämpft sah. Wir waren allein in meinem Zimmer. Es war Nachmittag und vom Korridor her drang das Klappern des Kaffeegeschirrs, das gerade abgeräumt wurde, bis zu uns herein. Ein flüchtiger Geruch von Kaffee und Butterkuchen hing noch in der Luft.
    Doktor Romberg seufzte. Er kaute ungeniert an seinem rechten Daumennagel, bevor er weitersprach: „Ich meine, die Erinnerungen sind ja noch da drinnen. Nicht wahr?“ Er tätschelte aufmunternd meine Schädeldecke, als könnte das mein Gehirn positiv beeinflussen. „Lediglich Ihre Fähigkeit, darauf zurückzugreifen, ist temporär beeinträchtigt.“
    „Temporär beeinträchtigt“, echote ich und zwinkerte mit den Augen , um den imaginären Dunst davor loszuwerden.
    „Es funktioniert einfach nicht!“ Er fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, als würde er ein unsichtbares Orchester dirigieren. „Und das, obwohl rein physiologisch betrachtet alles in Ordnung ist! Sowohl der Hippocampus als auch der rhinale Kortex. Die rechte Seite des Großhirns, die Sie eigentlich an so zauberhafte Dinge wie Ihre erste Liebesnacht oder den letzten Winterurlaub erinnern sollte, ist einwandfrei.“
    Allmählich verflüchtigten sich die Nebelflecke. Ich sah Romberg klarer.
    „Die linke im Übrigen gleichfalls“, ereiferte er sich. „Sämtliche Kernspintomografien, alle Untersuchungen und Tests sind o. B.!“
    Ich warf ihm einen gereizten Blick zu, worauf er sich beeilte hinzuzufügen: „Ohne Befund.“
    „Was wollen Sie mir eigentlich sagen? Dass es keine Verletzungen und keinen plausiblen Grund gibt, warum ich mein Gedächtnis verloren habe?“
    „Ja!“ Dann, nach kurzem Zögern : „Nein, ganz und gar nicht. Ich meine lediglich, dass ich keine organische Ursache diagnostizieren kann. Es sind außerdem keine Drogen oder Alkohol exzesse im Spiel. Unter Umständen haben wir es mit einer“, hier sprach er gedehnt, „psychogenen Form der Amnesie zu tun.“
    „Was heißt das nun wieder?“
    Er musterte mich nachdenklich. „Möglicherweise wollen Sie sich nicht an Ihr Leben erinnern, Frau Hohwacht.“ Zähe Sekunden verstrichen. Bis meine Gedanken zu Leander wanderten. Mir wurde warm.

Weitere Kostenlose Bücher