Meine Wut rettet mich
entwidmen wollte, setzten sie genau an diesem Punkt ihre Kritik an: Mit den Kirchen würden auch Einrichtungen verschwinden, die das soziale Miteinander im Stadtteil strukturieren – Kindergärten, Treffpunkte für Junge und Alte, Müttertreffs, Suppenküchen. Die Gläubigen in Duisburg gingen auf die Barrikaden, läuteten aus Protest die Kirchenglocken, verabredeten sich über Facebook, sammelten Tausende von Unterschriften, verkauften auf Weihnachtsmärkten T-Shirts, die zur Kirchenrettung aufriefen, und zogen an einem Adventswochenende mit Schlafsäcken in die Sankt-Barbara-Kirche ein, eine der von den Schließungsplänen betroffenen Kirchen.
Die hier geplanten Kirchenschließungen sind nicht die ersten, weder im Ruhrgebiet noch anderswo in Deutschland; bundesweit werden Zahlen zwischen 700 und 2000 Kirchen genannt. Die Bischöfe wollten damit dem Priestermangel entgegentreten, der letztlich durch das Festhalten am Zölibat eklatant wurde. Kirchenaustritte und damit auch Geldfragen sind weitere Gründe. Auch die evangelischen Landeskirchen schließen Gotteshäuser.
Die Kirche als Institution steckt tief in einer Systemkrise. Das gilt für beide Volkskirchen in Deutschland, aber eben in besonderem Maße für die katholische Kirche. Ihre Reformbedürftigkeit erkannte bereits das Zweite Vatikanum, das vor nun 50 Jahren seine Türen öffnete und in den Jahren 1962 bis 1965 Pläne entwickelte, wie sich die Kirche »verheutigen« ließe. Doch die dort erarbeiteten Reformvorschläge versandeten überwiegend.
»Koma-Patient« mit »Kuschel-Gott«
Pallotinerpater und Professor Fritz Köster, sozusagen der geistliche Partner von Schwester Dr. Lea Ackermann, überschrieb 1989 seinen Buch-Appell »Der Mut zu einer ganz anderen« mit »Kirche im Koma?«. 6 Die Kirche stehe sich vor allem selbst im Weg. Es gebe so viele, die gerne Christen sein wollten, aber an der Institution leiden. Er formulierte sechs Thesen für eine am Glauben orientierte, Einheit stiftende, sich im Alltag bewährende Kirche. »Was die Welt von heute und morgen braucht, sind nicht die unfehlbaren Moralprediger und die rechthaberischen Orthodoxen, sondern die Lebensbegleiter, die Diener der Einheit in der Verschiedenheit, die Ermöglicher der Gaben und Charismen Gottes im dauernden Suchen und Schaffen der Einheit und Brüderlichkeit (Geschwisterlichkeit) unter all denen, die sich ein Ge-Wissen bewahrt haben und menschliche Person-Würde für sich wie für andere erkämpfen.« Anders gesagt: Man wüsste längst, was zu tun wäre. Doch die, die an den entscheidenden Hebeln sitzen, wollen beharren. Ihre Absage an die Moderne brachte Arnd Brummer dazu, von der katholischen zur evangelischen Kirche zu wechseln. Den Ausschlag, so erzählt er, gab eine Rede von Joseph Ratzinger, noch als Kardinal, im Kölner Dom. Lea Ackermann begegnete der römischen Reaktion, indem sie ihren Nonnenschleier ablegte. Sie sieht dies als Protest gegen die Kleriker, die Frauen in ihrer Kirche nicht mitbestimmen lassen wollen, nicht aber als Auflehnung gegen ihren Glauben, den sie unbeirrbar pflegt in Form eines geerdeten, direkt Gott verbundenen Christentums.
Das Jahr 2011 war ein Jahr, in dem in der deutschen katholischen Kirche Aufbruchsbegehren offenkundig wurden, wie schon lange nicht mehr. Im Januar baten prominente katholische Politiker wie Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundesbildungsministerin Annette Schavan und die ehemaligen Ministerpräsidenten Dieter Althaus, Erwin Teufel und Bernhard Vogel in einem Brief die Bischöfe, sogenannte »bewährte Männer« ( viri probati ), also besonders ausgezeichnete Laien, zum Priesteramt zuzulassen. 7 311 Professorinnen und Professoren der katholischen Theologie, zumeist aus dem deutschsprachigen Raum, veröffentlichten im Februar ein Memorandum 8 für den Aufbruch. Darin forderten sie unter anderem die Kirche auf, auch Laien und Frauen Mitbestimmungsrechte einzuräumen. Frauen sollten Priesterinnen werden können und Priester verheiratet sein dürfen. Um Rechte geltend zu machen, sollte eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgebaut werden. Die katholische Bischofskonferenz ließ sich im März 2011 zumindest auf einen Dialogprozess ein: Man will sich innerhalb von vier Jahren nun mehrmals mit einer Gruppe aus Vertretern katholischer Verbände, Professoren und Laien treffen, um über die Zukunft der Kirche zu reden. Ein in den Medien verbreitetes Gerücht, die Abspaltung des reformorientierten Flügels der Katholiken
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