Meine Wut rettet mich
in Deutschland stehe bevor und dazu gebe es im Vatikan ein inoffizielles Dossier, ließ sich nicht bestätigen. Der ehemalige Kurienkardinal Walter Kasper erläuterte, ein Schisma sei höchst unwahrscheinlich. Jeder, der das betreibe, wisse, dass er in einer Splitterkirche kaum noch Wirkungsmacht hätte. Kasper bestritt nicht, dass sich dringend etwas verändern müsse. Im Gegenteil: Er legte in einem Buch, dessen erste Auflage in wenigen Tagen ausverkauft war, seinen Vorschlag dar für eine dialogische, synodal strukturierte Kirche, die in manchem anknüpft an das Zweite Vatikanum. 9
»Ist die Kirche noch zu retten?«, überschrieb der Schweizer Theologe Hans Küng seine Analyse 10 , die er mit dem Satz einleitete: »Lieber hätte ich dieses Buch nicht geschrieben.« Er fühle sich nicht wohl, schon wieder in der Rolle des Papstkritikers und Kirchenreformers zu stecken, sehe sich aber verpflichtet, weil nun alle Welt die Kirchenleitungskrise, auf die er seit Jahren aufmerksam mache, sehen könne. Er bediente sich eines medizinischen Wortschatzes und sieht die Kirche noch nicht, wie Fritz Köster, als Koma-Patienten, aber im Krankenbett: »Sie leidet unter dem römischen Herrschaftssystem, das sich im Lauf des zweiten Jahrtausends gegen alle Widerstände etabliert« habe. Als Symptome zählte Küng auf: Monopolansprüche auf Macht und Wahrheit, Klerikalismus, die Sexual- und Frauenfeindschaft sowie eine »geistliche-ungeistliche Gewaltanwendung«. Küng, der gemeinsam mit dem jetzigen Papst als jüngster offizieller Berater am Zweiten Vatikanischen Konzil teilgenommen hatte, wiederholte seine Vision von Kirche: gegenwartsorientiert, beide Geschlechter gleichwertig sehend, ökumenisch offen, universal tolerant, voller »Respekt vor der immer größeren Wahrheit«, bereit, von anderen Religionen zu lernen. So sieht für ihn eine gesunde, vitale Kirche aus, und diese würde von Christen wie von Nichtchristen akzeptiert und von Millionen Menschen erwartet.
Auch die evangelische Kirche hat Geldprobleme, auch hier müssen Kirchen entwidmet werden. Die kirchliche Landkarte wird aus Kostengründen strukturell in größere Einheiten zusammengefasst, beispielsweise in der nordelbischen Kirche, wo 2012 und 2013 die letzten Schritte im Umstrukturierungsprozess hin zu einer gemeinsamen Nordkirche erfolgen sollen. Ein Prozess, an dem Kirsten Fehrs bereits als Hauptpastorin in Hamburg mitwirkte und den sie nun als Bischöfin des Sprengels Hamburg und Lübeck weiter mitgestalten will. Ein Prozess zudem, der auch mit Enttäuschungen verbunden ist. Die Hansestadt Lübeck war stolz auf ihre jahrhundertelange Bischofstradition. Ursprünglich sollte Lübeck auch wegen seiner geografischen Lage das Zentrum der neuen Nordkirche werden. Nach Protesten in Kiel und Schwerin machte man diese Pläne rückgängig und beließ das Kirchenamt in Kiel; Sitz des voraussichtlich 2013 zu wählenden Landesbischofs der Nordkirche soll Schwerin sein. Lübeck wurde als Bischofssitz aufgegeben, und zwar zeitlich vorgezogen, weil die Amtsinhaberin Bärbel Wartenberg-Potter bereits 2008 in den Ruhestand ging, um, wie sie erklärte, Nachfolgern den Weg zur Neugestaltung frei zu machen.
Nicht nur die katholische, auch die evangelische Kirche hat Mühe, deutlich zu machen, weshalb unsere Gesellschaft sie heute noch braucht. Zwar sind durch die Reformation manche Hürden genommen, die der katholischen Kirche noch bevorstehen. Aber die Kritik wächst ebenfalls: Die Kirche wirke teils trocken, teils wie weichgespült und biedere sich vielen Moden an. Der evangelische Theologe Friedrich Wilhelm Graf plädierte in seiner ebenfalls 2011 erschienenen Schrift »Kirchendämmerung« 11 für eine neue Volkskirche und attestierte den beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland sieben Kardinal un tugenden: Sprachlosigkeit, Bildungsferne, Moralismus, Demokratievergessenheit, Selbstherrlichkeit, Zukunftsverweigerung und Sozialpaternalismus. Graf richtete seine Kritik speziell an seine eigene Kirche. Graf geißelte Esoterik, liturgische Nächte, moralinsaure Dauerappelle und Gefühlsduselei. Die protestantische Kirche entwickle sich zu einer »Mutti-Kirche« rund um einen »Kuschel-Gott«. Ein Hauptgrund dafür sei der stark gewachsene Frauenanteil unter den Theologen und Pfarrern. Die Frauen, behauptet Graf, seien verantwortlich für »das Umstellen auf einen Psychojargon, in dem es permanent um das »Fühl dich wohl« geht und in dem elementare Spannungen und
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