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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ein Wahnsinniger, ein dummer, widerlicher Hanswurst? – Ach, und während ich mit einem Beige-schmack von Empörerwollust diese Ge danken dachte, strafte mich schon mein banges Herz durch Zittern für die Blasphemie!
    Wie deutlich sehe ich, nach dreißig Jahren, jenes Treppen haus wieder vor mir, mit den hohen, blinden Fenstern, die gegen die nahe Nachbarmauer gingen und so wenig Licht ga ben, mit den weißgescheuerten, tan-nenen Treppen und Zwi schenböden und dem glatten, harthölzernen Geländer, das durch meine tausend sau-senden Abfahrten poliert war! So fern mir die Kindheit steht, und so unbegreifl ich und mär chenhaft sie mir im ganzen erscheint, so ist mir doch alles ge nau erinnerlich, was schon damals, mitten im Glück, in mir an Leid und Zwiespalt vorhanden war. Alle diese Gefühle waren 283
    damals im Herzen des Kindes schon dieselben, wie sie es immer blieben: Zweifel am eigenen Wert, Schwanken zwi schen Selbstschätzung und Mutlosigkeit, zwischen weltver achtender Idealität und gewöhnlicher Sinneslust
    – und wie damals, so sah ich auch hundertmal später noch in diesen Zü gen meines Wesens bald verächtliche Krankheit, bald Aus zeichnung, habe zu Zeiten den Glauben, daß mich Gott auf diesem qualvollen Wege zu besonderer Vereinsamung und Vertiefung führen wolle, und fi nde zu andern Zeiten wieder in alledem nichts als die Zeichen einer schäbigen Charakter
    schwäche,
    eine Neurose, wie Tausende sie mühsam durchs Leben schleppen.
    Wenn ich alle die Gefühle und ihren qualvollen Wider-streit auf ein Grundgefühl zurückführen und mit einem ein zigen Namen bezeichnen sollte, so wüßte ich kein anderes Wort als: Angst. Angst war es, Angst und Unsicherheit, was ich in allen jenen Stunden des gestörten Kinderglücks emp fand: Angst vor Strafe, Angst vor dem eigenen Gewissen, Angst vor Regungen meiner Seele, die ich als verboten und verbrecherisch empfand.
    Auch in jener Stunde, von der ich erzähle, kam dies Angst gefühl wieder über mich, als ich in dem heller und heller wer denden Treppenhause mich der Glastür nä-
    herte. Es begann mit einer Beklemmung im Unterleib, die bis zum Halse em porstieg und dort zum Würgen oder zu Übelkeit wurde. Zu gleich damit empfand ich in diesen Momenten stets, und so auch jetzt, eine peinli-284
    che Geniertheit, ein Mißtrauen gegen jeden Beobachter, einen Drang zu Alleinsein und Sichver stecken.
    Mit diesem üblen und verfl uchten Gefühl, einem wahren Verbrechergefühl, kam ich in den Korridor und in das Wohnzimmer. Ich spürte: es ist heut der Teufel los, es wird etwas passieren. Ich spürte es, wie das Ba-rometer einen veränderten Luftdruck spürt, mit ret-tungsloser Passivität. Ach, nun war es wieder da, dies Unsägliche! Der Dämon schlich durchs Haus, Erbsünde nagte am Herzen, riesig und unsicht bar stand hinter jeder Wand ein Geist, ein Vater und Rich ter.
    Noch wußte ich nichts, noch war alles bloß Ahnung, Vor gefühl, nagendes Unbehagen. In solchen Lagen war es oft das beste, wenn man krank wurde, sich erbrach und ins Bett legte. Dann ging es manchmal ohne Schaden vorüber, die Mutter oder Schwester kam, man bekam Tee und spürte sich von liebender Sorge umgeben, und man konnte weinen oder schlafen, um nachher gesund und froh in einer völlig verwan delten, erlösten und hellen Welt zu erwachen.
    Meine Mutter war nicht im Wohnzimmer, und in
    der Kü che war nur die Magd. Ich beschloß, zum Vater hinaufzuge hen, zu dessen Studierzimmer eine schmale Treppe hinauff ührte. Wenn ich auch Furcht vor ihm hatte, zuweilen war es doch gut, sich an ihn zu wenden, dem man so viel abzubitten hatte. Bei der Mutter war es einfacher und leichter, Trost zu fi nden; beim Vater aber war der Trost wertvoller, er bedeutete einen Frie-285
    den mit dem richtenden Gewissen, eine Versöhnung und ein neues Bündnis mit den guten Mächten. Nach schlimmen Auftritten, Untersuchungen, Ge ständnissen und Strafen war ich oft aus des Vaters Zimmer gut und rein hervorgegangen, bestraft und ermahnt zwar, aber voll neuer Vorsätze, durch die Bundesgenossenschaft des Mächtigen gestärkt gegen das feindliche Böse. Ich be schloß, den Vater aufzusuchen und ihm zu sagen, daß mir übel sei.
    Und so stieg ich die kleine Treppe hinauf, die zum Stu dierzimmer führte. Diese kleine Treppe mit ihrem eigenen Tapetengeruch und dem trockenen Klang der hohlen, leichten Holzstufen war noch unendlich viel mehr als der Hausfl ur ein bedeutsamer Weg und ein Schicksalstor; über diese Stufen

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