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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Brust, und ich fühlte mich und mein Erleben nicht mehr einzeln und beseelt, ich war nur Welt, Orkan, Schauer, Wesen und Nacht im Überschwang der Natur. Und dann, als alles mählich stiller ward, die Blitze bloß blau und ungefährlich den Horizont umschweiften, der Donner nur noch väterlich mahnend grollte und das Rauschen des Regens rhythmisch ward im ermattenden Wind, da kam auch mich ein Leiserwerden und Müdigkeit an. Wie Musik fühlte ich meine schwingenden Nerven erklingen, und sanfte Gelöstheit sank in meine Glieder. Oh, schlafen jetzt mit der Natur und dann aufwachen mit ihr! Ich warf die Kleider ab und mich ins Bett. Noch waren weiche, fremde Formen darin. Ich spürte sie dumpf, das seltsame Abenteuer wollte sich noch einmal besinnen, aber ich verstand es nicht mehr. Der Regen draußen rauschte und rauschte und wusch mir meine Gedanken weg. Ich fühlte alles nur noch als Traum. Immer wollte ich noch etwas zurückdenken von dem, was mir geschehen war, aber der Regen rauschte und rauschte, eine wunderbare Wiege war die sanfte, klingende Nacht, und ich sank in sie hinein, einschlummernd in ihrem Schlummer.
    Am nächsten Morgen, als ich ans Fenster trat, sah ich eine verwandelte Welt. Klar, mit festen Umrissen, heiter lag das Land in sicherem, sonnigem Glanz, und hoch über ihm, ein leuchtender Spiegel dieser Stille, wölbte der Horizont sich blau und fern. Klar waren die Grenzen gezogen, unendlich fern stand der Himmel, der gestern sich tief hinab in die Felder gewühlt und sie fruchtbar gemacht. Jetzt aber war er fern, weltenweit und ohne Zusammenhang, nirgends rührte er sie mehr an, die duftende, atmende, gestillte Erde, sein Weib. Ein blauer Abgrund schimmerte kühl zwischen ihm und der Tiefe, wunschlos blickten sie einander an und fremd, der Himmel und die Landschaft.
    Ich ging hinab in den Saal. Die Menschen waren schon beisammen. Anders war auch ihr Wesen als in diesen entsetzlichen Wochen der Schwüle. Alles regte und bewegte sich. Ihr Lachen klang hell, ihre Stimmen melodisch, metallen, die Dumpfheit war entflogen, die sie behinderte, das schwüle Band gesunken, das sie umflocht. Ich setzte mich zwischen sie, ganz ohne Feindseligkeit, und irgendeine Neugier suchte nun auch die andere, deren Bild mir der Schlaf fast entwunden. Und wirklich, zwischen Vater und Mutter am Nebentisch saß sie dort, die ich suchte. Sie war heiter, ihre Schultern leicht, und ich hörte sie lachen, klingend und unbesorgt. Neugierig umfaßte ich sie mit dem Blick. Sie bemerkte mich nicht. Sie erzählte irgend etwas, das sie froh machte, und zwischen die Worte perlte ein kindliches Lachen hinein. Endlich sah sie gelegentlich auch zu mir herüber, und bei dem flüchtigen Anstreifen stockte unwillkürlich ihr Lachen. Sie sah mich schärfer an. Etwas schien sie zu befremden, die Brauen schoben sich hoch, streng und gespannt umfragte mich ihr Auge, und allmählich bekam ihr Gesicht einen angestrengten, gequälten Zug, als ob sie sich durchaus auf etwas besinnen wolle und es nicht vermöge. Ich blieb erwartungsvoll mit ihr Blick in Blick, ob nicht ein Zeichen der Erregung oder der Beschämung mich grüßen würde, aber schon sah sie wieder weg. Nach einer Minute kam ihr Blick noch einmal, um sich zu vergewissern, zurück. Noch einmal prüfte er mein Gesicht. Eine Sekunde nur, eine lange gespannte Sekunde, fühlte ich seine harte, stechende, metallene Sonde tief in mich dringen, doch dann ließ ihr Auge mich beruhigt los, und an der unbefangenen Helle ihres Blickes, der leichten, fast frohen Wendung ihres Kopfes spürte ich, daß sie wach nichts mehr von mir wußte, daß unsere Gemeinschaft versunken war mit der magischen Dunkelheit. Fremd und weit waren wir wieder einander wie Himmel und Erde. Sie sprach zu ihren Eltern, wiegte unbesorgt die schlanken, jungfräulichen Schultern, und heiter glänzten im Lächeln die Zähne unter den schmalen Lippen, von denen ich doch vor Stunden den Durst und die Schwüle einer ganzen Welt getrunken.

Verwirrung der Gefühle
    Private Aufzeichnungen des Geheimrates R. v. D.
    Sie haben es gut gemeint, meine Schüler und Kollegen von der Fakultät: da liegt, feierlich überbracht und kostbar gebunden, das erste Exemplar jener Festschrift, die zu meinem sechzigsten Geburtstag und zum dreißigsten meiner akademischen Lehrtätigkeit die Philologen mir gewidmet haben. Eine wahrhaftige Biographie ist es geworden; kein kleiner Aufsatz fehlt, keine Festrede, keine nichtige Rezension in irgendeinem

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