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Meisternovellen

Meisternovellen

Titel: Meisternovellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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nicht wollte, sondern nur jener Dämon in ihr, der Herr ihres Blutes war. Aber kaum fühlte sie, daß ich nachließ, begann sie leise zu stöhnen: »Laß mich nicht! Laß mich nicht!« flehte sie, und heißer sogen ihre Lippen, drängte ihr Körper sich an. Schmerzhaft war ihr Gesicht mit den verschlossenen Augen gespannt, und schaudernd spürte ich, daß sie wach werden wollte und nicht konnte, daß ihre trunkenen Sinne aus dem Gefängnis dieser Umnachtung schrien und wissend werden wollten. Aber gerade dies, daß unter dieser bleiernen Maske von Schlaf etwas rang, das aus seiner Bezauberung wollte, war gefährliche Lockung für mich, sie zu erwecken. Meine Nerven brannten vor Ungeduld, sie wach, sie sprechend, sie als wirkliches Wesen zu sehen, nicht bloß als Traumwandlerin, und um jeden Preis wollte ich aus ihrem dumpf genießenden Körper diese Wahrheit zwingen. Ich riß sie an mich, ich schüttelte sie, ich klemmte die Zähne in ihre Lippen und meine Finger in ihre Arme, damit sie endlich die Augen aufschlüge und nun besonnen täte, was hier nur dumpf ein Trieb in ihr genoß. Aber sie bog sich nur und stöhnte unter der schmerzhaften Umklammerung. »Mehr! Mehr!« stammelte sie mit einer Inbrunst, mit einer sinnlosen Inbrunst, die mich erregte und selbst sinnlos machte. Ich spürte, daß das Wache bereits nahe in ihr war, daß es aufbrechen wollte unter den geschlossenen Lidern, denn sie zuckten schon unruhig. Näher faßte ich sie, tiefer grub ich mich in sie ein, und plötzlich fühlte ich, wie eine Träne die Wange hinabrollte, die ich salzig trank. Furchtbar wogte es, je mehr ich sie preßte, in ihrer Brust, sie stöhnte, ihre Glieder krampften sich, als wollten sie etwas Ungeheures sprengen, einen Reif, der sie mit Schlaf umschloß, und plötzlich – wie ein Blitz war es durch die gewitternde Welt – brach es in ihr entzwei. Mit einem Male ward sie wieder schweres, lastendes Gewicht in meinen Armen, ihre Lippen ließen mich, die Hände sanken, und als ich sie zurücklehnte auf das Bett, blieb sie liegen gleich einer Toten. Ich erschrak. Unwillkürlich fühlte ich sie an und tastete ihre Arme und ihre Wangen. Sie waren ganz kalt, erfroren, steinern. Nur an den Schläfen oben tickte leise in zitternden Schlägen das Blut. Marmor, eine Statue, lag sie da, feucht die Wangen von Tränen, den Atem leise spielend um die gespannten Nüstern. Manchmal überrann sie noch leise ein Zucken, eine verebbende Welle des erregten Blutes, doch die Brust wogte immer leiser und leiser. Immer mehr schien sie Bild zu werden. Immer menschlicher und kindlicher, immer heller, entspannter wurden ihre Züge. Der Krampf war entflogen. Sie schlummerte. Sie schlief.
    Ich blieb sitzen am Bettrand, zitternd über sie gebeugt. Ein friedliches Kind, lag sie da, die Augen geschlossen und den Mund leise lächelnd, belebt von innerem Traum. Ganz nahe beugte ich mich hinab, daß ich jede Linie ihres Antlitzes einzeln sah und den Hauch ihres Atems an der Wange fühlte, und von je näher ich auf sie blickte, desto ferner ward sie mir und geheimnisvoller. Denn wo war sie jetzt mit ihren Sinnen, die da steinern lag, hergetrieben von der heißen Strömung einer schwülen Nacht, zu mir, dem Fremden, und nun wie tot gespült an den Strand? Wer war es, die hier in meinen Händen lag, wo kam sie her, wem gehörte sie zu? Ich wußte nichts von ihr und fühlte nur immer, daß nichts mich ihr verband. Ich blickte sie an, einsame Minuten, während nur die Uhr eilfertig von oben tickte, und suchte in ihrem sprachlosen Antlitz zu lesen, und doch ward nichts von ihr vertraut. Ich hatte Lust, sie aufzuwecken aus diesem fremden Schlaf hier in meiner Nähe, in meinem Zimmer, hart an meinem Leben, und hatte doch gleichzeitig Furcht vor dem Erwachen, vor dem ersten Blick ihrer wachen Sinne. So saß ich da, stumm, eine Stunde vielleicht oder zwei über den Schlaf dieses fremden Wesens gebeugt, und allmählich ward mirs, als sei es keine Frau mehr, kein Mensch, der hier abenteuerlich sich mir genaht, sondern die Nacht selbst, das Geheimnis der lechzenden, gequälten Natur, das sich mir aufgetan. Mir war, als läge hier unter meinen Händen die ganze heiße Welt mit ihren entschwülten Sinnen, als hätte sich die Erde aufgebäumt in ihrer Qual und sie als Boten gesandt aus dieser seltsamen, phantastischen Nacht.
    Etwas klirrte hinter mir. Ich fuhr auf wie ein Verbrecher. Nochmals klirrte das Fenster, als rüttele eine riesige Faust daran. Ich sprang auf. Vor dem

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