Meleons magische Schokoladen
deinen Widerstand schon erlahmen lassen, ehe das gegnerische Heer vor deinen Toren steht. Nein, Isabell, du sollst dich nicht sorgen und nichts befürchten! Vielmehr sollst du im Angesicht drohender Gefahr das Leben erst zu genießen lernen.“ Er küsste ihre Nasenspitze und lachte. „Ja, Meleon macht große Worte, aber er meint sie auch. Dieser Augenblick gehört uns, Isabell, und nichts was nach ihm kommt, kann ihn mehr auslöschen.“
Isabell atmete unwillkürlich tief ein. Er biss sie ins Ohrläppchen und sagte „Miau!“, und sie lachte mit ihm. Ja, Meleon hatte Recht: das war nicht der Augenblick für Befürchtungen!
Sie standen an den Küchentisch gelehnt, küssten sich traumverloren und ohne Hast, aber dann schlug irgendwann das Glöckchen vorne im Laden an und Meleon straffte sich.
„Nun wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Der Augenblick der Ruhe ist vorbei und es beginnt eine Zeit des Blutvergießens. Doch bevor es soweit ist, gibt es noch etwas zu erledigen.“
Wie groß ist eine Seele?
Meleon löste den Sperrhaken der Kammer.
Niklas lag sehr still. Er schlug die Augen nicht auf und rührte sich nicht. In großen Abständen sog er mit leisem Schnaufen die Luft ein.
Meleon ging kurz nach draußen und kam mit Isabells Vater wieder, der eine behutsame Untersuchung der Wunde vornahm. Sie war von einem hässlichen Rand umgeben und eiterte wieder. Ringsherum hatte sich die Haut in einem kühlen Lila eingefärbt. Dr. Fechter fühlte Niklas den Puls, hob die Augenlider an und lauschte dem Herzton. Dann schüttelte er ganz leicht den Kopf und sie verließen gemeinsam die Kammer.
Draußen sagte Dr. Fechter: „Er hat keine Tage mehr, wie wir noch vor Kurzem gehofft haben, sondern bestenfalls Stunden. Schon gestern, als ich das Uringläschen gesehen habe, habe ich befürchtet, dass es mir nicht gelungen ist, das Blatt noch zu wenden.“
Meleon nickte.
„Ich spüre, wie sich die Seele aus dem engen Gefäß des Körpers zu ergießen beginnt.“
Isabell hatte die Hände in die Falten ihres Kleides gekrampft und wusste nicht, wie sie mit dieser weiteren Katastrophe fertig werden sollte.
Meleon schenkte ihr ein schmales Lächeln.
„Bitte Rochas, zu uns zu kommen!“, sagte er.
Rochas kam, die Hand auf dem Schwertknauf, ließ sie aber sinken, als er Meleon ganz friedlich mit dem Arzt vor der Kammertür stehen sah.
„Rochas“, sagte Meleon. „Geh mit Dame Isabell hinaus und schaffe mir mit ihrer Hilfe das nächstbeste Tier, das euch über den Weg läuft! Es eilt!“
Isabell war es gar nicht wohl, als sie zusammen mit Rochas den Garten durchstreifte, in dem die zusammengesunkenen Reste des Zeltes an den Tod der Minister erinnerten. Was hatte Meleon vor? Einen dunklen Zauber, zu dem er das Blut eines Tieres brauchte?
Nirgendwo im Garten fand sich auch nur so viel wie eine Schnecke, deswegen liefen sie durch die hintere Pforte in die Gasse hinaus und dort packte Rochas mit der Schnelligkeit des bewährten Kämpfers zu, als etwas an seinen Füßen vorbei huschen wollte.
Es war eine Amsel. Kleine, blanke Augen sahen zu Isabell auf, dann hackte ein gelber Schnabel Rochas ein Stückchen Haut vom Finger.
Unbeirrt trug er den Vogel ins Haus.
Meleon zog nur kurz die Brauen hoch, dann nickte er.
„Das muss es jetzt tun“, sagte er.
„Was hast du vor?“, fragte Isabell und ihre Stimme wollte ihr nicht gehorchen. „Was soll dieser kleine Vogel helfen…?“
„Alles.“ Meleon nahm das schwarzbefiederte Tier mit beiden Händen und ließ sich von Rochas die Kammertür aufhalten.
„Meleon!“, sagte Isabell. „Warte!“
„Dazu fehlt uns die Zeit“, erwiderte er und setzte Niklas den Vogel auf die Brust. „Dr. Fechter – ein Skalpell bitte!“
Isabell sah das Aufblitzen von Metall und holte erschrocken Luft, doch dann blieb ihr der Schrei in der Kehle stecken und sie konnte nur nach Luft schnappen, denn Meleon stieß Niklas die Klinge mit einer schnellen, sicheren Bewegung ins Herz.
Der ausgezehrte Körper zuckte nur ganz leicht und lag dann wieder still. Die Amsel zeterte plötzlich und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Meleon machte eine ausholende Handbewegung und schien etwas über den Vogel zu stülpen, der wild nach seinen Fingern hackte. Auf einmal saß die Amsel ruhig und wie verwundert, hob einen Fuß, betrachtete die drei Zehen, kratzte sich damit am Hinterkopf und sah zu Meleon auf.
„In der Eile war nichts anderes möglich“, sagte Meleon und nahm seine Hand
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