Meleons magische Schokoladen
Meleon. „Darf ich Ihnen bei der Gelegenheit gleich etwas Neues anbieten?“ In der feinen, cremigen Füllung verbarg sich etwas Knuspriges.
„Was ist das?“
„Nun, was meinen Sie selbst?“
„Kandierte Rosenblätter, nicht wahr?“
„So ist es. Sie sind eine Kennerin!“
Ohne Grund errötete sie. Mit ihren Einkäufen verließ sie den Laden, während der neue Junge ihr die Tür aufhielt.
Bald wusste sie, dass der junge Mann tatsächlich Meleon hieß und seine Kreationen in der geräumigen Küche hinter dem Laden selbst anfertigte. Sie war es bereits gewöhnt, den Jungen mit Niklas anzureden und jede neue Sorte als erste zu kosten, ehe Meleon das Konfekt für würdig erachtete, über seinen Ladentisch zu gehen. Und bei alldem nahm sie wundersamer Weise nicht zu.
„Ich weiß gar nicht, wie du das machst“, sagte ihre Mutter. „Der Posten für Schokolade und Konfekt nimmt sich in unserem Haushaltsbuch geradezu ungehörig aus. Trotzdem, wenn du zu Meleon kommst, bring mir bitte ein Tütchen Hanselnusscanache mit.“
Es war Isabell ganz recht, Aufträge dieser Art auszuführen, denn so hatte sie immer wieder einen Anlass, Herrn Meleon einen Besuch abzustatten.
Der Tag war windig und kühl, die Schwalben hatten sich längst auf ihre Reise nach Süden gemacht, und Isabell genoss den Kaffee, den ihr Niklas servierte. Die Ladenglocke schlug an. Meleon kam von hinten. Vor der Ladentheke stand der Vorsteher der örtlichen Verwaltung, den Binder fest unterm Kinn geknotet, die Miene ernst. Er verneigte sich höflich vor Isabell und fasste dann Meleon ins Auge.
„Ich habe von Ihren Patisseriekünsten gehört. Ihr Ruf verbreitet sich in Windeseile.“
„Herzlichen Dank.“
„Allerdings, Herr Meleon, gäbe es da einiges zu klären. Es geht ordentlich zu, in unserem kleinen Gemeinwesen. Und so sehr wir uns freuen, ein Talent wie das Ihre unter uns zu wissen, müssen die vorgeschriebenen Wege doch eingehalten werden.“ Er gab Meleon seine Karte. „Ich muss Sie bitten, sich um die ordnungsgemäße Anmeldung Ihres Gewerbes zu bemühen und bei der Innung vorzusprechen.“
Meleon lächelte. Er schnippte mit dem Zeigefinger von unten gegen seinen Mittelfinger. Isabell meinte, ein winziges Fünkchen fliegen zu sehen. Der Gemeindevorsteher rieb sich die Augen. Sekundenlang sah er mit leerem Blick auf die Auslagen.
„Wie dumm von mir“, sagte er und betastete die Tasche, die er unter dem Arm trug. „Ich habe ja schon alles hier. Vergessen Sie, was ich gesagt habe, Herr Meleon. Und geben Sie mir bitte ein Viertelpfund Konfekt für meine Frau mit!“
„Wenn ich meine Kirschtrüffel empfehlen darf…“ Mit einer silbernen Zange arrangierte Meleon die Trüffel in silberne Konfekthütchen, stapelte sie in eine blass-gelbe Verpackung und schlang eine zartgrüne Schleife darum. „Mit besten Empfehlungen an die Frau Gemahlin“, sagte er und hielt dem Gemeindevorsteher die Tür auf. Das Glöckchen klimperte.
Isabell sah Meleon forschend an.
„Das war sonderbar.“
„Ja. Die Leute in der Verwaltung sind ungeheuer vergesslich. Mir ist das schon häufiger aufgefallen. Darf ich Ihnen heute die neuen Pflaumenhütchen zum Probieren anbieten?“
Isabell hätte den Vorfall wahrscheinlich vergessen, wenn nicht eine Woche später ein ganz ähnlicher Besuch ihre Erinnerung aufgefrischt hätte.
„Kampling“, sagte der junge, gut gekleidete Mann, der forsch den Laden betreten hatte. „Georg Kampling.“
„Sehr erfreut, Herr Kampling. Was kann ich für Sie tun?“
Kampling reckte das Kinn.
„Sie können mir erklären, mein Herr, wie es kommen mag, dass Sie sich hier in diesem Laden eingerichtet haben. Dieses Haus gehört meiner Tante, Emma Kampling…“
Meleon nickte. Wieder schnippte sein Zeigefinger vom Daumen gegen die Unterseite des Mittelfingers. Ein Fünkchen schien Kampling ins Auge zu geraten. Er betupfte die Augenwinkel mit einem veilchenfarbenen Taschentuch.
„Tante hat wahrscheinlich vergessen, uns zu sagen, dass sie einen Mieter gefunden hat. Wie nachlässig von ihr.“
„Ihre Tante ist betagt. Und seien Sie doch bitte so freundlich, ihr von mir diese Schachtel feinster Obstkonfekte zu überreichen. Ich weiß, dass sie ihre Streuobstwiesen so gerne hat. Es muss deprimierend sein, wenn man immer zu Hause bleiben muss. Vielleicht bringt das Konfekt Erinnerungen zurück. Vielleicht sogar den Wunsch, wieder ein wenig nach draußen zu gehen und die wunderbare Luft in diesem schönen Ort zu
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