Memoiren 1945 - 1987
dann mit einem Messer ab. Seine Sicherheit übertrug sich auch auf die Zuschauer. Ich habe es an mir selbst erlebt. Während ich beim ersten Mal das Füttern der Haie aus respektvoller Entfernung betrachtete, rückte ich von Mal zu Mal näher an Herwarth heran, ohne mehr Angst zu verspüren — so nah, daß ich, neben ihm kniend, die erregenden Augenblicke, in denen die aufgerissenen Haifischmäuler die Fische nun sogar aus Herwarths Mund wegschnappten, in Nahaufnahmen festhalten konnte. Ich bekam sogar ein Foto, auf dem ein Hai versehentlich in Herwarths Oberschenkel biß, aber sofort losließ, als er merkte, daß es kein Fisch war. Selbst solche Zwi
schenfälle konnten Herwarth nicht aus der Ruhe bringen. Gelassen, ohne sich um seine Verletzung zu kümmern, führte er seine Schau fort. Nur das im Wasser grün aussehende Blut verriet, daß der Hai tatsächlich zugebissen hatte. Es war mir unbegreiflich, daß sein Gesicht, wenn die großen Haie ihm den Fisch aus den Zähnen rissen, keine Kratzer erhielt.
Natürlich war Herwarth mit dem Verhalten der Haie vertraut, er hatte es viele Jahre studiert. Aber das allein erklärt nicht die Vollendung, mit der er diese Haischau jahrelang, ohne daß ihm etwas Ernsthaftes passierte, vorführte. Er ist ein Besessener, vernarrt in diese eleganten Raubfische, er ist von allem fasziniert, was im Meer lebt. Nur so erscheint es verständlich, daß er sechs Jahre opferte, bis es ihm gelang, die Haie aus einer Tiefe von 60 Metern nach oben zu locken. Wie er mir erzählte, erreichte er es nur dadurch, daß er ihnen zuerst an einer langen Stange ihr Fischgericht anbot und dann regelmäßig den Abstand mehr und mehr verkürzte und langsam dabei höherstieg. Bis er die Haie soweit hatte, daß sie ihm die Fische aus dem Mund nahmen.
Bei einigen Tauchgängen, die ich mit ihm gemeinsam machte, beobachtete ich, daß er nicht nur Haie, sondern auch andere Fische zu bändigen schien. Als ich einmal von einem großen Triggerfisch, der sein Eigelege bedroht fühlte, attackiert wurde, und der mich trotz meiner Abwehr mit Messer und Flossen immer wieder angriff, erschien Herwarth, führte mit seinen Armen eine einzige Bewegung aus, und der Fisch wurde sofort ruhig und griff nicht mehr an. Ähnliche Kunststücke gelangen ihm auch mit anderen Fischen.
Bevor wir die Malediven verließen, waren wir noch einige Tage Gäste von Eric Klemm auf dessen Trauminsel Cocoa. Wie ein Juwel liegt sie im blaugrünen glasklaren Wasser, von schneeweißem Sandstrand umgeben. Nur zwölf Palmen stehen auf Cocoa. Nicht nur dieser Romantik wegen verbringen Brautpaare so gern hier ihre Flitterwochen.
Noch keine Entscheidung
I n München wurde ich mit Ungeduld erwartet. List benötigte für das kommende Buch «Mein Afrika» dringend das Bild-Layout, dessen Gestaltung ich wieder übernommen hatte. Auch wegen der Memoiren mußte es zur Entscheidung kommen.
Meine Hoffnung, nun wieder gekräftigt arbeiten zu können, erwies sich als ein Irrtum. Schon wenige Tage nach meiner Ankunft hatten sich die Schmerzen so verstärkt, daß ich verzweifelt einen Spezialisten aufsuchte, um endlich Gewißheit zu erlangen. Aber auch Professor Viernstein, der mich gründlich untersuchte, konnte die Ursache nicht feststellen. Ich erhielt Spritzen und neue Medikamente — keine Besserung. Und doch mußte ich für List ein neues Afrika-Buch fertigstellen, das zu meinem 80. Geburtstag in Deutschland und im Ausland erscheinen sollte.
Das Film- und Fotomaterial, das wir von den Malediven mitgebracht hatten, war eine Überraschung. So viele gute Aufnahmen hatte ich noch nie von einer Tauchreise heimgebracht. Auch die Filmaufnahmen, die Horst von der Haifütterung und dem Tauchen mit Herwarth gemacht hatte, waren erstklassig. Auf der Leinwand konnte ich erst sehen, daß einige der Haie dicht über meinem Kopf schwimmend mein Blitzgerät streiften. Schade, daß ich keine Zeit hatte, das Material zu schneiden. Noch heute lagert dieses Material ungeschnitten in einem Schneideraum, wie auch das Filmmaterial über die Nuba.
Vor meiner Reise nach den Malediven hatte sich Rainer Werner Fassbinder bemüht, mich als Fotografin für seinen Film «Querelle» zu verpflichten. Gern hätte ich diesen ungewöhnlich begabten, aber auch umstrittenen Regisseur kennengelernt und auch mit ihm gearbeitet, besonders nachdem er mir geschrieben hatte, wieviel ihm an meiner Mitarbeit läge. Doch abgesehen von meinem gesundheitlichen Zustand
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