Memoiren 1945 - 1987
tanzen.»
Diese verrückten, skurrilen Worte rissen mich aus meiner Lethargie. Ich wollte den Arzt rufen, aber meine Stimme versagte. Ich konnte keinen Ton herausbringen. In diesem Augenblick betraten drei Männer meine Zelle. Sie trugen dunkle Uniformen und Stahlhelme. Ohne ein Wort traten sie an mein Lager und forderten mich auf, ein Schriftstück zu unterschreiben. Einer von ihnen sagte etwas in Französisch. Ich konnte nichts verstehen, auch nicht fragen, was ich unterschreiben sollte. Einer dieser Männer gab mir einen Stift in die Hand, ein zweiter stützte meinen Rücken und zeigte auf eine Stelle am unteren Rand des Papiers. Nachdem ich unterschrieben hatte, war ich wieder allein. Hatte ich mein Todesurteil oder ein Gnadengesuch unterschrieben? Ich befand mich in einer Art Dämmerzustand, war wie gelähmt und schlief ein.
Da spürte ich, wie sich jemand über mich beugte — ein Schatten. Erst an der Stimme erkannte ich, es war meine Mutter. Sie hockte auf dem Fußboden neben meinem Lager und strich über meine Stirn. Lange lagen wir uns weinend in den Armen. Ein Schutzengel mußte sie hierhergeführt haben.
In der Eisenbahn nach Kitzbühel erzählte sie mir, was sie alles unternommen hatte, um mich aus dem Gefängnis herauszuholen. Nachdem sie einige Wochen nichts über meinen Aufenthaltsort erfahren konnte, machte sie sich auf den Weg nach Innsbruck, dem Standort der französischen Dienststellen. Da man sich damals ja nur 6 Kilometer von einem Ort entfernen durfte, war dies eine beschwerliche Reise. Weite Strecken mußte sie zu Fuß gehen. In Innsbruck versuchte sie mehrere Male Colonel Andrieu zu sprechen, kam aber immer nur bis zu seinem Vorzimmer. Dort sagte man ihr: «Ein Gnadengesuch ist hoffnungslos. Ihre Tochter war die Geliebte des Satans, sie wird niemals mehr ein Stück Himmel erblicken.»
Meine Mutter ließ sich nicht entmutigen. Jeden Tag besuchte sie eine andere französische Dienststelle, bis sie schließlich Erfolg hat te. Sie wußte nicht, wer meine Freilassung veranlaßt hatte, wahrscheinlich die Militärregierung, nicht das «Deuxième Bureau». Es wurde ihr nur mitgeteilt, sie könnte mich aus dem Gefängnis abholen.
Unter der Pflege meiner Mutter kam ich langsam wieder zu Kräften, aber die innere Resignation blieb. Zu oft wurden in mir alle Hoffnungen zerstört.
Auch als ein Schreiben des französischen Militär-Kommandanten von Kitzbühel eintraf, blieb ich skeptisch. Es lautete:
Im Auftrag von General Bethouart, Kommandierender Chef in Österreich, ist Frau Leni Riefenstahl-Jacob berechtigt, in ihrem Haus am Schwarzsee in Kitzbühel zu bleiben, wo sie ihren Film «Tiefland» beenden soll.
Nach allem, was ich bisher in der französischen Zone erlebt hatte, empfand ich das nur als Hohn. Aber mein Mann, der nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis und vor meiner Rückkehr wieder bei uns wohnte, war optimistisch. Nach diesem Bescheid, meinte er, stehst du von jetzt ab in Österreich unter dem Schutz der französischen Militärregierung.
Er irrte sich. Nach einer kurzen Atempause erschienen plötzlich französische Polizisten und umstellten unser Haus. Was war nun geschehen? Ich litt schon an Verfolgungswahn. Ein Polizeioffizier erklärte: Dieser Befehl käme von höchster Stelle aus Paris und betreffe alle Personen, die zur Zeit im Haus Seebichl wohnten. Niemand dürfte das Haus Seebichl mehr verlassen. Der Arrest galt also auch meiner Mutter, meinem Mann und sogar drei meiner Mitarbeiter, die sich bei uns befanden. Weder mein Mann noch meine Mutter und auch keiner der drei Mitarbeiter waren Mitglieder der NSDAP gewesen, auch hatte sich niemand von uns politisch betätigt. Es lagen auch keinerlei Anklagen vor. Ohne jeden Rechtsschutz waren wir der Willkür französischer Dienststellen ausgesetzt. Wir erfuhren keine Gründe für diesen neuen Arrest, auch nichts über seine Dauer. Man sagte uns nur, Lebensmittel müßten wir uns telefonisch bestellen, sie könnten ins Haus gebracht werden, aber Besucher dürften wir nicht empfangen. Das vierte Mal war ich nun in der französischen Zone verhaftet worden, nachdem mir vorher von höchster Stelle schriftlich bestätigt worden war, wir dürften bleiben und ich sollte sogar arbeiten können. Eine telefoni sche Verbindung mit dem Kommandanten von Kitzbühel blieb trotz aller Bemühungen erfolglos.
Ein Anruf von Uli Ritzer aus Innsbruck machte mir die neuen Schikanen einigermaßen verständlich. Er habe
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