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Menschenhafen

Menschenhafen

Titel: Menschenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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Risse und Flecken in ihrer glänzenden Oberfläche. Es stand nicht in der Macht des Menschen, sie zu stoppen. Anders hatte sich umgedreht und lief wieder, als ein Motor ansprang und Kristoffer im nächsten Moment auf einem leuchtend blauen Lastenmoped aus seiner Auffahrt bog.
    »Spring auf!«, rief er.
    Anders kletterte mit Maja im Arm auf die Ladefläche, und als Kristoffer den Waldweg hinaufraste, flüsterte sie ihm ins Ohr: »Wer ist das?«
    »Das ist Kristoffer«, sagte Anders. »Er hilft uns.«
    Maja nickte. »Er sieht nett aus. Ein bisschen wie Simon.«
    Seit alles anfing, hatte Anders keinen Gedanken mehr an Simon und Anna-Greta verschwendet, nur festgestellt, dass sie aus dem Weg und damit in Sicherheit waren. Auf dem Meer oder in Kapellkär.
    Domarö. Es hat nur Domarö im Visier.
    Sie holten die anderen ein. Kristoffer bremste ab, und Astrid setzte sich dankbar auf den Rand der Ladefläche. Kristoffer machte eine einladende Geste zu Mats und Ingrid, aber Mats schüttelte den Kopf und lief mit seiner Frau weiter. Mit ihnen als zusätzliche Last würde das Moped so langsam werden, dass man schneller vorankam, wenn man lief.
    »Zum Stein!«, rief Anders. »Dem Findling. Das ist der höchste Punkt.«
    Kristoffer nickte und gab Gas. Als sie an Mats und Ingrid vorbeikamen, rief Anders ihnen dasselbe zu. Hundert Meter weiter bog Kristoffer auf den Waldweg ab, und sie holperten über Wurzeln und Steine. Aber aufwärts, immer weiter aufwärts.
    Das letzte Stück konnte man nicht mehr fahren, und obwohl sein Fuß so schmerzte, dass ihm Tränen in die Augen traten, klammerte sich Anders an Maja und sie sich an ihn, als sie von der Ladefläche stiegen und hochliefen.
    Sie kamen rechtzeitig auf den Findling hinauf, um die Welle über Domarö hinwegschlagen zu sehen. Wie eine fünfzehn Meter hohe, dunkelblaue Mauer mit einer Krone aus spitzen Eisschollen fiel sie auf die Bebauung. Anders sank am Rand des Findlings auf die Erde und sah, wie das, was nach der ersten Welle von seinem Haus noch übrig gewesen war, von den Wassermassen umschlossen wurde.
    Die Eisschollen flogen vom Wellenkamm und zertrümmerten die Dächer auf den Häusern von Anna-Greta und Simon, kurz bevor der Turm der Sturmglocke unter dem Druck der Wassermassen einstürzte und die Wasserwand alles zu Treibholz zerschlug, das in der Gischt tanzte. Dann gab es nichts mehr. Die sechs Flüchtlinge standen auf einer Felseninsel, die sich zehn Meter über einem tosenden, donnernden Meer erhob, auf dem Wrackteile umherwirbelten.
    Anders blickte auf. Der Leuchtturm auf Gåvasten war nicht mehr zu sehen. Die kleine Felseninsel lag noch in der Ferne, aber der Leuchtturm war verschwunden, von der Welle hinweggefegt worden. Ein Beben aus dem Meer lief durch die Erde, erreichte über den Findling ihre Körper, und die Insel, die neben Gåvasten aufgetaucht war, begann zu sinken.
    Die Wassermassen unter ihren Füßen zogen sich zurück. Über seinem Kopf hörte Anders Maja sagen: »Da waren Leute …«
    Anders lehnte sich zurück und sah, dass Mats durch sein Fernglas spähte. Er ließ es sinken, schüttelte den Kopf und machte eine Handbewegung zu der sinkenden Insel hin. »Auf der Insel da waren Menschen. Jede Menge Menschen. Jetzt sind sie weg.«
    Anders umarmte Maja und vergrub die Nase in ihrem Nacken. Das Wasser wich zurück und entblößte ein Dorf, das es nicht mehr gab. Unter ihnen lag nichts als ein schlammiges Chaos aus entwurzelten Bäumen und Trümmern von Häusern und Schuppen. Hier und da lagen größere und kleinere Stücke zerbrochener Boote. Das Einzige, was noch stand, war der Betonklotz des Schiffsanlegers.
    Es ist gefährlich. Nicht nur für dich. Für alle, die hier leben.
    Das hatte Anna-Greta gemeint und verhindern wollen. Anders presste die Nase fester gegen Majas Nacken, rieb mit der Wange über ihren Rücken.
    »Aua, Papa, das piekst. Hör auf.«
    Anders lächelte, wandte sich ihr zu und strich zärtlich mit dem Finger über ihre Wange. Maja kniff die Lippen fest zusammen, was bedeutete, dass sie nachdachte.
    »Papa?«
    »Ja.«
    »Ich hab geträumt, dass ich nach dir gerufen habe. Total oft. Hab ich das getan?«
    »Ja, das hast du.«
    Maja nickte verbissen, als würde dies einen Verdacht bestätigen, den sie schon lange gehegt hatte.
    »Und was hast du gemacht?«
    Anders blickte in ihre ernsten, bekümmerten Augen. Er strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr und küsste sie auf die Stirn.
    »Ich bin natürlich gekommen.«

 
    Auf dem

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