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Menschensoehne

Menschensoehne

Titel: Menschensoehne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indridason
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war, dass er ständig etwas vor sich hin gemurmelt hat.«
    »Halt mal, heute ist Freitag, ist dieser Mann dann gestern da gewesen?«, fragte Pálmi.
    »Ich habe ihn zwar nicht gesehen, aber es ist ziemlich wahrscheinlich.«
    »Und was hat er vor sich hin gemurmelt?«, fragte Pálmi.
    »Das ist ja das Komische«, erwiderte Guðbjörn. »Es kam mir so vor, als ob es etwas von Jónas Hallgrímsson war. … und die Stunde der strahlendsten Gunst zuckt wie ein Blitz durch die Nacht .«

Vier
    Als Pálmi gegen Mitternacht in seine Wohnung zurückkehrte, hatte er immer noch nicht ganz begriffen, was sich an diesem Abend abgespielt hatte. Tief in Gedanken versunken machte er Licht in der Diele. Aus der Wohnung nebenan, wo Dagný lebte, hörte er den Fernseher. Er selbst besaß kein Fernsehgerät. Die Wohnung war voll mit anderen Sachen, Gemälden und vor allem Büchern, die überall ordentlich in Bücherregalen aufgereiht standen. Pálmi war leidenschaftlicher Büchersammler und besaß ein Antiquariat im Zentrum von Reykjavík. Er lebte allein und hatte keine Kinder.
    Er machte etwas Wasser im Wasserkocher heiß, um vor dem Schlafengehen einen Tee zu trinken. Er dachte an Daníel und Jóhann − und den Mann, der seinen Bruder besucht hatte. Er dachte über den Selbstmord nach und fragte sich, ob das womöglich die einzige Lösung für seinen Bruder gewesen war. Sie hatten häufig über Selbstmord gesprochen. Für Pálmi war Selbstmord etwas Unvorstellbares, er hatte so etwas nie in Betracht gezogen und fand es unbegreiflich, dass jemand seinem Leben ein Ende setzen wollte. Daníel hingegen hatte Selbstmord als etwas ganz Normales angesehen. Falls er sich umbringen wollte, ging das seiner Meinung nach niemanden etwas an. Sich die Pulsadern oder die Kehle aufzuschneiden oder sich zu erhängen, war für ihn allerdings ein entwürdigender und unmenschlicher Akt. Daníel ging sogar so weit zu sagen, dass Selbstmord medizinisch gesehen genauso selbstverständlich sein sollte wie Krampfadernziehen oder Mandeloperationen.
    Einer der Gründe, weshalb er und Pálmi nicht zusammenleben konnten, war genau der. Dass er verschiedene Versuche unternommen hatte, sich das Leben zu nehmen, und ihm das in zwei Fällen auch beinahe geglückt war. Während seiner gesamten Krankengeschichte hatte er starke Psychopharmaka bekommen, aber Pálmi konnte nie sicher sein, dass sein Bruder die Medikamente auch schluckte, die die Suizidneigung in Schranken halten sollten. Er hatte versucht, alles aus seiner Wohnung zu entfernen, was Daníel möglicherweise für einen Selbstmordversuch verwenden konnte, aber das war ein hoffnungsloses Unterfangen. Einmal, als Pálmi nach Hause gekommen war, hatte er Daníel mit einer zugebundenen Plastiktüte über dem Kopf vorgefunden. Damals war es ihm gelungen, ihn wieder ins Leben zurückzuholen. Ein anderes Mal überraschte er ihn mit einem Strick um den Hals, der abgerissen war; Daníel lag auf dem Boden und versuchte mit aller Kraft, die Schlinge zuzuziehen.
    Das war vor zwei Jahren gewesen, und danach hatte Pálmi Daníel wieder in die Klinik gebracht. Seitdem hatte Daníel keinen weiteren Selbstmordversuch unternommen. Pálmi hatte bereits in Erwägung gezogen, ihn wieder zu sich nach Hause zu holen, hatte aber noch nichts Konkretes in die Wege geleitet. Er lebte allein in einer Wohnung, die er von seiner Mutter geerbt hatte.
    Bei Daníel war vor vielen Jahren Schizophrenie diagnostiziert worden, und Pálmi konnte sich nur dunkel an die Anfänge erinnern. Zwischen den Brüdern bestand ein Altersunterschied von zehn Jahren, und er war noch sehr klein gewesen, als die ersten Anzeichen bei Daníel auftraten. Er konnte sich daran erinnern, wie unglücklich seine Mutter damals gewesen war. Er erinnerte sich aber auch noch an Daníel als einen fröhlichen Jungen, der mit ihm spielte. Aber das schienen nur kurze Abschnitte aus einer ansonsten trostlosen Jugend gewesen zu sein. Am deutlichsten standen ihm immer noch der Kummer seiner Mutter, Daníels Aggressivität und die ständigen Besuche in dieser entsetzlichen Klinik vor Augen.
    Daníel war irgendwann aus dem Paradies vertrieben worden.
    Mit dreizehn Jahren hatte er sich aus heiterem Himmel vollkommen verändert. Er fing an, mit seinen Klassenkameraden zu trinken, und harte Drogen kamen ins Spiel. In den darauf folgenden Jahren gab es dauernd Konflikte mit seiner Mutter. Und mit der Polizei, die ihn zugedopt oder betrunken zu Hause ablieferte, nachdem er irgendwo

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