Mephisto
das sind Menschenopfer. Man bringt sie ihm, zu seinen Füßen spritzt Blut, er schnuppert mit der eingedrückten Nase den süß-vertrauten Geruch, und er wiegt ein wenig den majestätischen Oberkörper nach dem Rhythmus des wild bewegten Tamtams. Um ihn vollführen seine Untertanen den verzückten Freudentanz. Sie schleudern die Arme und Beine, sie hüpfen, schaukeln sich, taumeln; aus ihrem Gebrüll wird Wonnegestöhn, aus dem Gestöhn wird ein Keuchen, und schon sinken sie hin, lassen sich fallen vor den Füßen des schwarzen Gottes, den sie lieben, den sie ganz bewundern – wie Menschen nur den lieben und ganz bewundern können, dem sie das Kostbarste geopfert haben: Blut. –
Hendrik hatte langsam zu tanzen begonnen. Aber wohin war die triumphale Leichtigkeit, die von Publikum und Kollegen an ihm bewundert wurde? Sie war verschwunden; nur unter Qualen schien er jetzt die Füße zu setzen – freilich unter Qualen, die auch Wonnen waren: dies verrieten das selbstvergessene Lächeln der fahlen, aufeinandergepreßten Lippen und der benommene Blick.
Juliette ihrerseits dachte nicht daran, zu tanzen; sie ließ den Schüler sich alleine plagen. Nur durch Händeklatschen, rauhe Schreie und rhythmisches Schaukeln des Leibes feuerte sie ihn an. »Schneller, schneller!« forderte sie wütend. »Was hast du denn in den Knochen? Und du willst ein Mann sein? Du willst ein Schauspieler sein und dich auch noch für Geld sehen lassen? – Da, du komisches Stückchen Elend …«
Die Peitsche fuhr ihm über die Waden und über die Arme. Diesmal traten ihm keine Tränen in die Augen, welche trocken und glühend blieben. Nur seine zusammengepreßten Lippen zitterten. Prinzessin Tebab schlug noch einmal zu.
Er arbeitete, ohne jede Unterbrechung, eine halbe Stunde lang, als handelte es sich um ein ernsthaftes Training anstatt um eine etwas schauerliche Lustbarkeit. Schließlich keuchte er heftig. Er taumelte. Sein Gesicht war schweißbedeckt. Mühsam brachte er hervor: »Mir ist schwindlig. Darf ich aufhören …?« Sie erwiderte, mit einem Blick auf die Uhr, kurz und sachlich: »Mindestens noch eine Viertelstunde mußt du springen.«
Da die Musik wieder plärrte und Juliette wieder frenetisch in die Hände klatschte, versuchte er noch einmal den komplizierten Step. Aber die gequälten Füße, in ihren koketten Halbschuhen und Söckchen, verweigerten ihm den Dienst. Hendrik schwankte eine Sekunde lang; stand dann still; wischte sich mit der zitternden Hand den Schweiß von der Stirne.
»Was machst du für Scherze?« grollte sie. »Du hörst auf, ohne meine Erlaubnis? Das wäre ja das Allerneueste und noch das Schönere!«
Sie zielte mit der roten Peitsche nach seinem Gesicht; er duckte sich noch rechtzeitig, um diesem fürchterlichen Schlage zu entgehen. Abends ins Theater kommen mit einer blutigen Strieme von der Stirn bis zum Kinn: das wäre denn doch etwas zuviel gewesen. Trotz der benommenen Stimmung, in der er sich befand, blieb ihm klar, daß er sich dergleichen keinesfalls leisten durfte. »Laß das!« sagte er kurz. Während er sich schon von ihr abwendete, fügte er noch hinzu: »Genug für heute.«
Sie verstand, daß dies kein Spaß mehr war. Ohne etwas zu antworten, mit einem erleichterten kleinen Seufzer, schaute sie ihm zu, wie er in seinen üppig gefütterten, rotseidenen, übrigens an mehreren Stellen zerrissenen Schlafrock schlüpfte und sich auf dem Ruhebett niederließ.
Das Sofa, welches man für die Nacht als Bett herrichten konnte, war tagsüber bedeckt mit Tüchern und bunten Kissen. Neben dem Kanapee stand die Lampe auf dem runden, niedrigen Rauchtisch.
»Mache das grelle Licht aus!« bat Hendrik mit der singenden, wehleidig-melodischen Stimme. »Und komme zu mir, Juliette!«
Durch das rosige Halbdunkel schritt sie auf ihn zu. Als sie neben ihm stehenblieb, seufzte er leise: »Wie gut!«
»Hat es dir Spaß gemacht?« fragte sie ziemlich trocken. Sie hatte sich eine Zigarette angezündet und reichte auch ihm Feuer; er benutzte zum Rauchen die lange, ordinäre Zigarettenspitze, das Geschenk der Rahel Mohrenwitz. »Ich bin völlig erledigt«, sagte er. Daraufhin verzog sie ihren gewaltigen Mund zu einem gutmütigen und verständnisvollen Lächeln. »Das ist recht«, sagte sie, wobei sie sich über ihn beugte.
Er hatte seine breiten, bleichen, rötlich behaarten Hände auf ihre edlen, von schwarzer Seide überglänzten Knie gelegt. Träumerisch sprach er: »Wie häßlich meine gemeinen Hände auf deinen
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