Merode-Trilogie 1 - Teufelswerk: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)
ohne Ziel, wenn du so willst.“
Mathäus hob fragend die Brauen. „So, ein Pilger ohne Ziel.“
„Und ohne Sehnsucht nach Erleuchtung. Aber wie könntest du verstehen, was ich selber jeden Tag neu begreifen muss? Ich bin kein Händler und kein Kaufmann, bin kein Krieger und kein Bauer. Wenn jemand Arbeit für mich hat, so arbeite ich, doch nie länger als ein paar Tage. Dann muss ich weiter. Ich übernachte in Scheunen oder im Wald, und nur meine beiden Gefährten sind immer bei mir.“
„Gefährten?“
„Thusnelda, mein Rappe, und Chlodwig. Sie begleiten mich auf meiner Reise durch dieses Tal der Tränen.“
Mathäus bemerkte einen Schatten im Gesicht des Freundes, den er schon bei ihrem Wiedersehen gesehen zu haben glaubte. Längst hatte ihn eine Ahnung ergriffen. Dennoch schüttelte er den Kopf. „Du hast früher schon geistreiche Rätsel geliebt, werter Heinrich, aber diesmal redest du daher, als wärest du einer der alten Propheten höchstpersönlich.“
Heinrich schüttelte seinerseits den Kopf. „Gib dir keine Mühe, Freund. Ich kenne dich gut genug, ich weiß, dass du es verstehst. Ahnst, welches Feuer in meiner Seele wütet seit jenem Sommertag …“
Ja, er wusste es, verdammt. Nun war es ausgesprochen. Wie durch einen bösen Zauber wurde das Geschehen dieses unseligen Tages vor elf Jahren wieder gegenwärtig. Die beiden Männer schwiegen. Eine Weile war nur das Schnarchen Chlodwigs zu hören, der sich unterm Tisch breit gemacht hatte und nichts von Schicksal und Tragik wissen mochte.
„Du hast dem König von England das Leben gerettet“, sagte Mathäus schließlich leise, obwohl er wusste, dass der Freund seine Worte nicht gelten lassen würde.
Heinrich starrte auf einen imaginären Punkt an der Wand.
„Ich sehe sie noch immer vor mir, ihre brechenden Äuglein, ihren fassungslosen Blick. Sehe sie vor mir, jeden Tag und jede Nacht. Ihr Blut läuft über meine Hand, ich fühle es heute noch. Es ist warm, das Blut, warm wie ein Sommerregen …“
„Es war nicht deine Schuld. Unmöglich konntest du so schnell reagieren.“
Heinrich sah den Freund offen an. „Es war meine Schuld, Mätthes! Weil mich der Ehrgeiz trieb. Ich hatte den Irren von der Sänfte des Königs weggetrieben, zufällig, nur weil ich gerade in der Nähe stand. Aber von da an wusste ich: Ich würde der gefeierte Held des Tages sein. Man würde mich loben, ehren, befördern und weiß der Henker noch was. Verfluchte Eitelkeit. Zunächst aber musste ich diesen Irren überwältigen, um meinen Triumph vollkommen zu machen. Ich war wie ein Wolf auf der Jagd nach weidwunder Beute. Ein Wahn hatte mich befallen, ein Wahn, der meinen sonst so kühlen Verstand verspottete. Und nachher – die Ehrungen, die Geschenke, der Dank Seiner Majestät! Als hätte es diesen Wahn in mir niemals gegeben. Diesen schrecklichen Wahn, ohne den das Kind wohl noch am Leben wäre.“
„Es waren Gottes Wege“, meinte Mathäus erschüttert.
„Gott? Welcher Gott? Den Glauben an einen gütigen Gott habe ich längst aufgegeben.“
„Hein!“
„Was ist das für ein Gott, der das Leben eines Königs schont und stattdessen ein unschuldiges Kind aus dem Leben reißt?Was ist das für ein Gott, der die Gleichheit aller Menschen will und das Bettelkind dem König opfert?“
„Heinrich! Was redest du bloß? Selbst der Kindermord zu Bethlehem hatte seinen göttlichen Sinn. Gottes Wege sind für uns Sterbliche eben häufig nicht zu ergründen. Und das ist gut so.“
„Du redest wie ein Pfaffe.“
„Ist es denn deshalb weniger wahr?“
„Ach, Mätthes. Ich wünschte, ich hätte deinen Glauben. Dann könnte ich vielleicht Frieden in einem Kloster finden, als gottgefälliger Mönch, anstatt ruhelos durchs Land zu ziehen. Aber ich habe ihn verloren, den Glauben.“
„Du musst ihn eben wiederfinden. Eines Tages wird es dir gelingen.“
„Ja, vielleicht.“
„Was ist aus Johanna geworden?“
Kaum hatte Mathäus die Frage ausgesprochen, bereute er sie schon. Denn er sah, dass sie ein Messerstich in Heinrichs Seele war.
„Ich habe sie damals verlassen. Ich
musste
es tun, für sie und auch um meiner selbst willen. Ich wollte nicht, dass sie ein Leben lang meine Qualen teilt. Erst kürzlich habe ich erfahren, dass sie vermählt ist. Sie lebt in Aachen als die Frau eines Ratsherrn.“
Wieder langes Schweigen. Beklemmung trübte die Wiedersehensfreude der beiden Freunde. Die Welt war eine andere geworden, das Leben hatte Spuren hinterlassen, und die
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