Metro2033
sich im Schnittpunkt einiger breiter Straßen. Es war eine ungewöhnliche Kreuzung, denn die Querstraße tauchte zum Teil in einen Tunnel ab und kam auf der anderen Seite wieder an die Oberfläche. Rechter Hand erstreckte sich ein breiter Boulevard, was Artjom an dem schwarzen Dickicht riesiger, wuchernder Bäume erkannte. Links befand sich ein großer, asphaltierter Platz - ein komplexes Geflecht aus mehrspurigen Fahrbahnen - und dahinter erneut dichtes Gestrüpp. Artjom konnte nun schon recht weit sehen, und er fragte sich, ob das damit zusammenhing, dass die mörderische Sonne bald aufgehen würde.
Die Straßen waren übersät mit verbeulten und ausgebrannten Wracks, die Artjom als Automobile identifizierte. Nichts davon war in brauchbarem Zustand. In zwei Jahrzehnten hatten die Stalker alles mitgehen lassen, was nicht niet- und nagelfest war. Das Benzin aus den Tanks, die Akkus und Generatoren, Scheinwerfer und Blinklichter, die Sitze - all das gab es nun an der WDNChwie auf jedem anderen größeren Markt der Metro.
Der Asphalt war an mehreren Stellen von Kratern unterschiedlicher Größe aufgebrochen. Überall gab es Risse, durch die Gräser und andere Pflanzen wuchsen, deren Stängel sich unter dem Gewicht dicker, kugelförmiger Früchte bogen. Direkt vor sich sah Artjom die düstere Schlucht des Neuen Arbats beginnen. Die berühmten Häuser, die wie riesige aufgeklappte Bücher aussahen ... Auf der einen Seite waren die mindestens 20-stöckigen Gebäude wie durch ein Wunder fast unversehrt geblieben, während sie auf der anderen halb eingefallen waren. Und hinter ihm lag die Straße zur Bibliothek und zum Kreml.
Er stand mitten auf diesem majestätischen Friedhof der Zivilisation und fühlte sich wie ein Archäologe bei der Ausgrabung einer antiken Stadt, deren einstige Größe und Schönheit noch viele Jahrhunderte später beim Betrachter ehrfürchtiges Schaudern hervorriefen. Artjom versuchte sich vorzustellen, dass einst Menschen diese zyklopischen Bauten bewohnt hatten. Mit solchen Fahrzeugen hatten sie sich fortbewegt. Diese hatten damals sicher noch in allen möglichen Farben gefunkelt und waren sanft rauschend über die glatte Fahrbahn gerollt, so dass der harte Asphalt von ihren Gummireifen warm wurde. Die Metro hatten sie nur benutzt, um schneller von einem Ende dieser grenzenlosen Stadt zum anderen zu gelangen. Unvorstellbar. Woran hatten sie jeden Tag gedacht? Was waren ihre Sorgen gewesen? Welche Sorgen konnte man überhaupt haben als Mensch, der nicht jede Sekunde um sein Leben fürchten muss, der nicht ständig darum kämpft, es wenigstens noch um einen Tag zu verlängern?
In diesem Augenblick traten die Wolken auseinander, und die nicht ganz vollständige Scheibe des Mondes - als hätte jemand ein Stück abgebissen - kam zum Vorschein. Artjom bemerkte erstaunt, dass dieser nicht gleichmäßig weiß war, sondern von seltsamen Linien durchzogen wurde. Sein helles Licht erfüllte die tote Stadt und verstärkte hundertfach ihre düstere Erhabenheit. Häuser und Bäume, bisher für Artjom nur flache und körperlose Umrisse, lebten auf und gewannen an Form. Details, die zuvor unsichtbar gewesen waren, kamen mit einem Mal zum Vorschein.
Unfähig sich zu rühren, sah sich Artjom wie verzaubert nach allen Seiten um und unterdrückte ein inneres Beben, das ihn plötzlich erfasst hatte. Erst jetzt begriff er, warum die Stimmen der Alten so sehnsüchtig geklungen hatten. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie weit sich der Mensch von seinen einstigen Errungenschaften entfernt hatte. Er glich einem herrlichen Vogel, der einst stolz am Himmel gekreist und nun - tödlich verwundet - auf der Erde gelandet war, um sich in einen geschützten Winkel zurückzuziehen und dort leise zu sterben. Artjom musste an das Gespräch zwischen Hunter und seinem Stiefvater denken. Würde der Mensch überleben? Und selbst wenn, wäre er dann noch der gleiche Mensch, der einst die Welt unterworfen und beherrscht hatte? Nun, da Artjom selbst einen Eindruck davon bekam, aus welcher Höhe die Menschheit in den Abgrund gestürzt war, verlor er endgültig seinen Glauben an eine wunderbare Zukunft.
Der Kalinin-Prospekt erstreckte sich breit und schnurgerade vor ihm, verengte sich in der Ferne, bis er sich im Dunkeln auflöste. Artjom stand allein da, umgeben von den Schatten der Vergangenheit. Er versuchte sich vorzustellen, wie viele Menschen früher Tag und Nacht auf diesen Bürgersteigen unterwegs gewesen, wie viele Autos mit
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