Metro2033
Menschen kommen aus ihrem Leib. Wir haben den Wurm erschaffen, nicht der Wurm uns. Aber selbst dies genügte ihnen nicht. In ihren Herzen wuchs der Hass. Und so beschlossen sie die Erde, auf der sie lebten, zu zerstören. Und sie schufen Tausende verschiedener Maschinen, die Flammen hervorstießen, Eisen spien und die Erde in Stücke zerrissen. Und sie begannen die Erde und alles Lebende, was darauf war, zu vernichten. Und da ertrug es der Große Wurm nicht mehr und verfluchte sie. Und er nahm ihnen seine wertvollste Gabe: den Verstand. Und es überkam sie der Wahnsinn, und sie richteten ihre Maschinen aufeinander und begannen einander zu töten. Sie erinnerten sich nicht, warum sie es taten, doch innehalten konnten sie nicht mehr. So bestrafte der Große Wurm die Menschen für ihren Hochmut.«
»Aber nicht alle?«, fragte eine kindliche Stimme.
»Nein. Es gab jene, die den Großen Wurm stets in Ehren gehalten hatten und ihn noch immer anbeteten. Sie sagten sich los von den Maschinen und vom Licht und lebten im Frieden mit der Erde. Sie retteten sich, und der Große Wurm vergaß ihre Treue nicht und ließ ihnen den Verstand und versprach, ihnen die ganze Welt zu geben, sobald seine Feinde fielen. Und so wird es sein.«
»Und so wird es sein«, erwiderte Dron und die kindliche Stimme im Chor. Die Stimme kam Artjom bekannt vor. »Oleg?«, rief er. Keine Antwort.
»Bis zum heutigen Tag leben die Feinde des Großen Wurms in seinen Gängen, denn sie wissen nicht, wo sie sich sonst verbergen können. Aber noch immer vergöttern sie nicht ihn, sondern ihre Maschinen. Die Geduld des Großen Wurms ist enorm, und sie hat viele Jahrhunderte menschlicher Untaten ertragen. Doch sie ist nicht unendlich. Es ist geweissagt, wenn er zu seinem letzten Schlag gegen das dunkle Herz des feindlichen Landes ausholen wird, wird ihr Wille gebrochen, und die Welt wird den guten Menschen gehören. Es ist geweissagt, dass die Stunde kommen wird, da der Große Wurm die Flüsse zu Hilfe rufen wird und die Erde und die Luft. Und die Erdmassen werden sich senken, schäumende Ströme werden hervorbrechen, und das dunkle Herz des Feindes wird hinabstürzen ins Nichts. Und dann wird der Gerechte endlich triumphieren, und der Rechtschaffene wird ein glückliches Leben ohne Krankheit haben und sich an Pilzen satt essen und Vieh im Überfluss haben.«
Eine Flamme leuchtete auf. Artjom war es gelungen, sich einigermaßen mit dem Rücken an der Wand abzustützen; so musste er sich nicht mehr krampfhaft verbiegen, um die Menschen jenseits des Gitters sehen zu können.
Auf dem Boden saß mit dem Rücken zu ihm ein kleiner Junge. Er hatte die Beine im Schneidersitz verschränkt. Über dem Jungen ragte die vertrocknete Gestalt des Priesters auf, beleuchtet vom Schein des Feuerzeugs in dessen Hand. Der Wilde lehnte am Türstock daneben und hielt sein Blasrohr in der Hand. Alle Augen waren auf den Alten gerichtet, der soeben seine Erzählung beendet hatte.
Artjom drehte mühsam den Kopf und blickte zu Anton hinüber, der in jener verkrampften Haltung erstarrt war, in der ihn die lähmende Nadel getroffen hatte. Er starrte an die Decke, konnte seinen Sohn nicht sehen, doch vermutlich hörte er alles.
»Steh auf, mein Sohn, und sieh dir diese Menschen an«, sagte der Priester. Sogleich sprang der Junge auf und drehte sich zu Artjom um. Es war Oleg. »Geh näher hin. Erkennst du jemanden von diesen beiden?«
»Ja.« Der Junge nickte. »Das da ist mein Papa, und mit diesem Onkel haben wir gemeinsam eure Lieder angehört. Im Tunnel.«
»Dein Papa und sein Freund sind schlechte Menschen. Sie haben Maschinen gebaut, um den Großen Wurm zu erniedrigen. Weißt du noch, was du mir und Onkel Wartan über den Beruf deines Papas erzählt hast?«
»Ja.«
Der Alte nahm das Feuerzeug in die andere Hand. »Erzähl es uns noch einmal.«
»Mein Papa hat bei den Raketentruppen gearbeitet. Er ist ein Raketenexperte. Ich wollte auch so werden wie er, wenn ich groß bin.«
Artjoms Kehle schnürte sich zusammen. Warum hatte er es nicht gleich erraten? Daher hatte der Junge also das Abzeichen bekommen. Und deswegen hatte er so selbstbewusst getönt, dass auch er ein Raketenexperte sei. Ein geradezu unmöglicher Zufall: In der ganzen Metro gab es nur noch einige wenige Menschen, die bei den Raketenstreitkräften gedient hatten - und nun waren zwei davon zur gleichen Zeit an der Kiewskaja aufgetaucht. Oder war es vielleicht gar kein Zufall?
»Ein Raketenexperte ... Diese
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