Microsoft Word - Christian Jacq - RAMSES3 - Die Schlacht von Kadesch.rtf
Ramses nicht verhehlt, aber auch nicht betont, wie bedrohlich die Lage bereits ist. Die barbarischen Überfälle der Hethiter und das Gemetzel in der Stadt des Löwen haben die Fürsten von Kanaan und Amurru in Angst und Schrecken versetzt, genau so wie die Statthalter der Küstenhäfen. Sethos hielt die hethitischen Krieger im Zaum, Ramses nicht. Sämtliche Gebietsherren fürchten ihrerseits den Untergang und werden es vorziehen, sich unter Muwatallis Schutz zu flüchten.»
«Sie sind also überzeugt, daß Ramses ihnen nicht zu Hilfe kommen wird, und haben sich entschlossen, Ägypten als erste anzugreifen, um ihrem neuen Herrn, dem Herrscher von Hatti, wohlgefällig zu sein. Habe ich das richtig verstanden?»
«So kann man die Vorgänge deuten.»
«Ist das auch… deine Deutung?»
«Für mich kommen da noch einige Dinge hinzu. Bedeutet die Tatsache, daß wir von einigen unserer Festungen nichts hören, daß der Feind sie bereits eingenommen hat?
Wenn das der Fall sein sollte, würde Ramses auf weit größeren Widerstand stoßen, als er ahnt. Außerdem ist anzunehmen, daß die Hethiter den Aufständischen eine beträchtliche Menge Waffen geliefert haben.»
Chenars Lippen wölbten sich genüßlich.
«Himmlische Aussichten für die ägyptischen Streitkräfte! Ramses könnte gleich in der ersten Schlacht besiegt werden, bevor er den Hethitern überhaupt gegenübersteht!»
«Ein nicht unwesentlicher Gesichtspunkt», befand Acha.
FÜNF
NACH DIESEM ANSTRENGENDEN Tag gönnte sich Tuja, die Mutter des Königs, im Palastgarten ein wenig Ruhe. Sie hatte den Morgenritus in einer der Kapellen der Göttin Hathor, der weiblichen Sonne, gefeiert, anschließend den Ablauf des Tages geregelt, sich etliche nörgelnde Höflinge angehört, auf Bitten von Ramses mit dem Obersten Verwalter der Felder und Haine ein Gespräch geführt und dann mit Nefertari geplaudert, der Großen königlichen Gemahlin.
Tuja - schlank, streng und durchdringend blickende, mandelförmige Augen, schmale, gerade Nase, fast eckiges Kinn - war die unbestrittene moralische Autorität. Sie trug eine Nacken und Ohren bedeckende Perücke mit spiralförmigen Strähnen und ein wunderbar gefälteltes Leinengewand. Eine sechsreihige Amethystkette schmückte den Hals und goldene Armbänder die Handgelenke. Zu jeder Stunde des Tages war Tuja mustergültig gekleidet.
Sethos fehlte ihr jeden Tag mehr. Mehr und mehr quälte sie die Vorstellung, daß der Pharao für immer gestorben war, und sie sehnte sich nach jenem letzten Übergang, der sie mit dem Gemahl wieder vereinen würde.
Dabei schenkte ihr das junge königliche Paar doch viele Freuden: Ramses hatte wirklich alle Voraussetzungen, ein großer Herrscher zu werden, und Nefertari war ihm ebenbürtig. Wie Sethos und Tuja beseelte auch diese beiden die unerschütterliche Liebe zu ihrem Land, dem sie ihr Leben opfern würden, wenn das Schicksal es erforderte.
Als Ramses auf sie zukam, wußte Tuja sofort, daß ihr Sohn soeben eine schwerwiegende Entscheidung getroffen hatte. Der König reichte seiner Mutter den Arm. Durch zwei Reihen blühender Tamarisken schlenderten sie auf dem sandbestreuten Weg dahin. Wärme durchflutete den Garten, und die Luft war von Düften erfüllt.
«Der Sommer wird heiß werden», sagte sie. «Für die Landwirtschaft hast du den richtigen Mann gewählt: er wird die Deiche befestigen und die Auffangbecken für die Bewässerung der Äcker vergrößern lassen. Die Überschwemmung dürfte üppig und die Ernte überreich ausfallen.»
«Meine Regierungszeit hätte lang und glücklich sein können.»
«Und wieso sollte sie das nicht sein? Die Götter waren dir doch hold, und selbst die Natur beschenkt dich überreich.»
«Der Krieg ist unvermeidlich.»
«Ich weiß, mein Sohn. Du hast richtig entschieden.»
«Ich brauche noch deine Zustimmung.»
«Nein, Ramses: da Nefertari denkt wie du, ist das königliche Paar handlungsfähig.»
«Mein Vater hat auf den Kampf gegen die Hethiter verzichtet.»
«Die Hethiter scheinen verzichtet zu haben. Sie zögerten, Ägypten anzugreifen. Hätten sie das Stillhalteabkommen gebrochen, wäre Sethos unverzüglich zum Angriff übergegangen.»
«Unsere Soldaten sind noch nicht soweit.»
«Sie haben Angst, nicht wahr?»
«Wer sollte sie deswegen tadeln?»
«Du.»
«Die alten Kämpfer erzählen Schauergeschichten über die Hethiter.»
«Und die sollten einen Pharao erschrecken?» «Diese Trugbilder müssen erst zerstreut werden…» «Das wird
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