Midnight Breed - Alles über die Welt von Lara Adrians Stammesvampiren
je.
Wenn ich mir den Zustand des Konflikts nach zehn Jahren ansehe, frage ich mich mit Grauen, was die Zukunft wohl bringen mag …
1
Menschen.
Die Nacht war voll von ihnen.
Sie verstopften die dunklen Gehsteige und Straßenecken im alten Bostoner Viertel North End, strömten aus den offenen Eingängen von Dance-Clubs und Cocktailbars. Sie schlenderten umher, blieben stehen, unterhielten sich und füllten die mitternächtlichen Straßen mit zu vielen Stimmen und zu vielen schwitzenden Körpern in der ungewöhnlich heißen Juninacht.
Und sie ließen einem zu wenig Platz im Gewühl, als dass man die nervösen Seitenblicke hätte ignorieren können – diese unzähligen schnellen Blicke von Leuten, die so taten, als hätten sie die vier Ordenskrieger nicht bemerkt und als wären sie kein bisschen schockiert, sie jetzt mitten durch die ehemalige Sperrzone der Stadt stapfen zu sehen.
Mira, die einzige Frau der Einheit, die jetzt nach Dienstschluss unterwegs war, ließ ihren harten Blick über die Menge der Homo-sapiens-Zivilisten schweifen. Zu schade, dass sie und ihre Kameraden Straßenkleidung und diskret verborgene Waffen trugen. Ihre Kampfmontur und ein Arsenal schwerer automatischer Waffen wären ihr lieber gewesen. Dann hätten die guten Bürger von Boston wirklich einen Grund gehabt, sie in offenem Entsetzen anzustarren.
»Seit zwanzig Jahren wissen die Menschen von unserer Existenz, und die meisten glotzen uns immer noch an, als wären wir gekommen, um ihre Halsschlagadern zu plündern«, sagte einer der drei Stammesvampire, der neben ihr ging.
Mira warf ihm einen ironischen Blick zu. »Sperrstunde ist erst um Mitternacht, bis dann dürft ihr noch legal Nahrung zu euch nehmen, also rechnet hier nicht mit einem begeisterten Empfang. Außerdem kann es nicht schaden, wenn sie Angst vor uns haben, Bal. Besonders wenn wir mit ihrer Spezies zu tun haben.«
Balthazar, ein muskulöser Riese mit olivfarbener Haut, begegnete ihrem Blick mit einem grimmigen Verständnis in seinen goldenen Adleraugen. Der dunkelhaarige Vampir war vor fast zwei Jahrzehnten zum Orden gestoßen, in den finsteren ersten Jahren nach der sogenannten Ersten Morgendämmerung, der Zeit, als die Menschen erfuhren, dass nicht sie das größte Raubtier auf diesem Planeten waren.
Mit dieser Tatsache hatten sie sich nicht gerade problemlos abgefunden. Und genauso wenig kampflos.
In der Zeit danach hatte es auf beiden Seiten zahlreiche Todesopfer gegeben. Unzählige Jahre, geprägt von Tod und Blutvergießen, Kummer und Misstrauen, waren gefolgt. Sogar jetzt noch war der Waffenstillstand zwischen den Menschen und dem Stamm brüchig. Während die Regierungsoberhäupter beider Völker der Erde, der Menschen und der Vampire, versuchten, durch Verhandlungen einen dauerhaften Frieden zum Wohle aller zu schaffen, gab es in beiden Lagern immer noch private Fehden und Konflikte. Der Krieg zwischen Menschheit und Stamm war noch nicht vorüber, aber er hatte sich in den Untergrund verlagert, inoffiziell und illegal, aber deshalb nicht weniger tödlich.
Ein dumpfer, kalter Schmerz erfüllte Miras Brust bei dem Gedanken an all den Kummer und das Leid, die sie in den Jahren seit ihrer Kindheit unter dem Schutz des Ordens mit angesehen hatte und dann auch noch während ihrer knallharten Kampfausbildung, die sie zu der Kriegerin gemacht hatte, die sie heute war. Sie versuchte, den Schmerz zu verdrängen, aber es wollte ihr kaum gelingen, und schon gar nicht heute Nacht.
Und dieser persönliche Teil des Krieges, der ihr so vertraut war wie nichts anderes in ihrem Leben, verlieh ihrer Stimme jetzt einen rauen, schneidenden Unterton. »Die Menschen sollen ruhig Angst um ihre Hälse haben. Dann sind sie vielleicht weniger geneigt, die Radikalen in ihren Reihen zu tolerieren, die den ganzen Stamm vernichtet sehen wollen.«
Hinter ihr ertönte das tiefe, leise Lachen eines ihrer Kameraden. »Hast du je eine PR -Karriere in Erwägung gezogen, Captain?« Sie zeigte ihm über die Schulter den gestreckten Mittelfinger und ging weiter, ihr langer blonder Zopf schlug wie ein Schwanz gegen ihren lederbekleideten Po. Webbs Lachen wurde lauter. »Okay, dachte ich auch nicht.«
Wenn jemand für diplomatische Missionen geeignet war, dann Julian Webb. Schön wie ein Adonis, liebenswürdig, mit einwandfreien Manieren und einem betörenden Charme, wenn er ihn anknipste. Dass Webb der kultivierten, privilegierten Stammeselite entsprang, war offensichtlich, auch wenn er seine
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