Milchblume
Lediglich ein dumpfes »Glonk« durchbrach in kurzen Abständen die Luft, wenn die Bäuerin, Suppe austeilend, mit dem Schöpflöffel an die dickwandigen Steingutteller stieß. Nachdem sie fertig war und auch Jakob einen Teller vor sich hatte, sahen alle zu Silvia. Sie nickte, faltete ihre Hände und senkte den Blick. Die anderen taten es ihr gleich.
»Lieber Gott, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast.« Nach kurzem Innehalten sah Silvia auf. Alle anderen schaufelten bereits Suppe in ihre Münder. Ihre Oberkörper waren weit nach vorn gebeugt, ihre Gesichter tief über den Tellern, die Ellenbogen auf die Tischkante gestützt. Nur die Handgelenke bewegten sich. Eilig wurden die Löffel in die Teller getaucht, zu den Mündern geführt, in die Teller getaucht, zu den Mündern geführt. Alle waren hungrig, waren erschöpft von der Plackerei. Niemand machte auch nur eine Bewegung zu viel.
»Morgen müssen wir viel weiterbringen«, brummte der Seifritz-Bauer, als er seinen Teller ausgekratzt hatte, »die Erdäpfel gehören aus dem Boden, spätestens zu Allerheiligen müssen wir fertig sein. Und am oberen Feld gehört das Wintergetreide gesät.«
»Holz müsst ihr viel schlagen«, flüsterte der Großvater. Immer deutlicher war ihm anzusehen, dass seine Kräfte zur Neige gingen. Abgearbeitet war er, hager und zerbrechlich. »Wird heuer ein harter Winter«, sagte er, »danach ist der Schupfen leer, und das frische Holz braucht erst Zeit zum Trocknen.«
»Woher weißt du denn, dass der Winter hart wird, Großvater?«, fragte Silvia und schubste ihren blonden Zopf nach hinten. Jakob versank in den Grübchen ihrer Wangen.
»Sitzt im Oktober das Laub noch fest am Baum, fehlt ein strenger Winter kaum«, reimte der Großvater eine Bauernweisheit, worauf die Großmutter, ohne die Nase aus dem Suppenteller zu nehmen, ergänzte: »Hält der Herbst das Laub lang fest, sorg dich um ein warmes Nest.«
»Behalten die Bäume im Herbst die Blätter, rechne auf strenges Weihnachtswetter«, sagte der Großvater.
»Will das Laub nicht von den Bäumen weichen, ist das ein hartes Winterzeichen«, rief die Großmutter.
»Ja, reicht schon«, murrte der Seifritz-Bauer.
»Graben sich die Mäuse tief ein, wird’s ein harter Winter sein«, wisperte der Großvater.
Und die Großmutter krächzte: »Kommt die Feldmaus schon jetzt ins Dorf, kümmere dich um Holz und Torf.«
»Ist jetzt endlich Ruh!«, schrie der Bauer und ließ damit Silvias Lachen abrupt enden.
Mit plötzlich wachem Blick, doch ohne die Stimme zu erheben, sagte der Großvater: »Noch ist es mein Hof. Und auf meinem Hof wirst du deiner Mutter und mir nicht das Wort verbieten.«
»Aber bald ist es unser Hof«, sagte Hans und schnitt eine hämische Grimasse.
»Genau«, eiferte der um zwei Jahre jüngere Fritz.
»Gell, Vater, ist doch so«, drängte Hans, »bald gehört der Hof uns.«
»Haltet den Mund!« Der Seifritz-Bauer stieß den Suppenteller davon, dass der Löffel darin schepperte. »Der Großvater stirbt nicht so schnell«, sagte er in einem Ton, der retten sollte, was zu retten war.
»Ihr könnt es alle nicht mehr erwarten, dass ich unter der Erde bin, gell«, flüsterte der Alte, und in seiner ruhigen Stimme lag gedämpfter Gleichmut. Den hatte er sich im Laufe seiner Krankheit zugelegt, zum Schutz, weil er feststellen hatte müssen, dass mit seiner Kraft auch der Respekt der anderen verloren ging. Sein eigener Sohn behandelte ihn abfällig, und wenn dessen Söhne es ihm gleichtaten, war ihm das nur deshalb unrecht, weil er sein Erbe nicht leichtfertig aufs Spiel setzen wollte. Freilich, ein strenges Regiment hatte er schon geführt, als er noch vor Kraft strotzte. Aber Watschen und Stockhiebe austeilen gehört nun einmal dazu, wenn man Verantwortung trägt. Zeitlebens hatte er doch nur versucht, seinen Sohn ordentlich zu erziehen.
Jakob konnte nicht verstehen, warum Menschen einander das Leben so schwer machten, für nichts und wieder nichts. Noch weniger kapierte er, wieso das sogar innerhalb einer Familie geschehen konnte. Gut, Vater wollte, dass ihm Großvater endlich den Hof überschrieb. Und Großvater wollte das nicht, soweit war Jakob der Sachverhalt klar. Aber was in Herrgotts Namen, zermarterte sich der Bursche den Kopf, was würde sich einer der beiden vergeben, einfach dem anderen seinen Willen zu lassen. Es war doch, fand er, völlig einerlei, wem der Hof gehörte. Das Dach, unter dem sie schliefen, würde so oder so nicht schöner,
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