Militärmusik - Roman
Gefangene, der schon seit über zwanzig Jahren hinter Gittern verbracht hatte, klärte die neue Generation der Häftlinge über drei Dinge auf, die man im Lager nie tun durfte: »Du darfst niemals irgendwelche Erwartungen, Ängste oder Fragen haben. Nur dann überlebst du«, sagte er – bei Solschenizyn.
Ich schaute aus dem Fenster. Die weißrussischen Wälder erstreckten sich bis dicht an die Eisenbahnlinie. »Je tiefer der Wald, desto dicker die Partisanen«, sagte man bei uns in der Armee. Zum ersten Mal stand ich kurz davor, die Grenzen meiner Heimat zu überschreiten. Der Weisheit des alten Gefangenen konnte ich beim besten Willen nicht folgen: Ich hatte große Erwartungen, viele Fragen und auch ein wenig Angst. Ich fühlte mich dabei aber großartig. Ich schaute nach unten: Die internationale Konferenz in unserem Abteil zum Thema »Frauen verschiedener Kontinente« verwandelte sich langsam in ein Besäufnis.
Wir näherten uns Brest-Litowsk.
Über das Buch
1967 ist ein schicksalsträchtiges Jahr für die Sowjetunion: Die Oktoberrevolution liegt genau fünfzig Jahre zurück, und man rüstet überall im Land zu großen Feierlichkeiten, da erblickt ausgerechnet ein Junge das Licht der Welt, der nichts unversucht lassen wird, um die ruhmreiche Republik in ihren Grundfesten zu erschüttern.
Denn schon von Kindesbeinen an steht der junge Wladimir mit den herrschenden Verhältnissen auf Kriegsfuß; stets ist er zu allem bereit, nur nicht dazu, sich anzupassen. Bereits in der Schule erfindet er als »Offizieller Politinformator« die haarsträubendsten Tagesnachrichten, und später bringt er als Praktikant beim Theater ganze Aufführungen zu Fall. Doch das ist alles nichts gegen sein subversives Wirken beim Militär, bei dem der anarchische Taugenichts eines Tages landet. Hier wird ihm nichtsahnend das Ehrenamt des »Stellvertretenden Vergnügungsorganisators«übertragen, und dass daraufhin alles drunter und drüber geht, braucht niemanden zu verwundern. Verwunderlich ist allenfalls, dass die Sowjetunion darüber nicht schon viel früher zerbrochen ist...
Über den Autor
Wladimir Kaminer wurde 1967 in Moskau geboren. Er absolvierte eine Ausbildung zum Toningenieur für Theater und Rundfunk und studierte anschließend Dramaturgie am Moskauer Theaterinstitut. Seit 1990 lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Berlin. Kaminer veröffentlicht regelmäßig Texte in verschiedenen deutschen Zeitungen und Zeitschriften, hat eine wöchentliche Sendung namens »Wladimirs Welt« beim SFB4 Radio MultiKulti, wo er jeden Samstag seine Notizen eines Alltags-Kosmonauten zu Gehör bringt, und er organisiert im Kaffee Burger Veranstaltungen wie seine inzwischen berüchtigte »Russendisko«. Mit der gleichnamigen Erzählsammlung avancierte das kreative Multitalent über Nacht zu einem der beliebtesten und gefragtesten Jungautoren in Deutschland. Nach dem Erzählband »Russendisko« sowie der von ihm herausgegebenen Anthologie »Frische Goldjungs« legt Wladimir Kaminer nun mit »Militärmusik« seinen ersten Roman vor. Ein weiterer Band mit Kurzgeschichten, »Schönhauser Allee«, ist bereits in Vorbereitung.
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