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Militärmusik - Roman

Militärmusik - Roman

Titel: Militärmusik - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stollfuß
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ständig von den Lüftungsrohren direkt in den Fleischwolf. Aber was wollen Sie mir damit sagen? Dass Ihnen unser Essen nicht gefällt? Wir haben Sie auch nicht zum Essen eingeladen. Das ist kein Restaurant, sondern ein Krankenhaus. Und die Gefahr, dass Sie durchdrehen, besteht auch nicht. Sie sind nämlich schon gaga hier angekommen!’ Das sagte dieser Mistkerl und verschwand. Er hat sich nie mehr bei mir blicken lassen.«
    Katzman war nicht zu bremsen. Wir erfuhren weitere Einzelheiten aus dem Klinikalltag, wobei er ihn mehr und mehr in Szene setzte, und dabei erst die Stimme des Arztes, dann auch die der italienischen Krankenschwester sowie die anderer Patienten imitierte. Die Mongoloiden waren davon so beeindruckt, dass sie das Streichholzspiel vergaßen und ihre Blicke auf unseren Freund richteten. Katzman erzählte uns inzwischen die traurige Geschichte von dem Dichter Kolja, der kein Verehrer von Patrizia Kaas war, wie wir ursprünglich angenommen hatten, sondern ein quasi professioneller Selbstmörder. Er war in der Klinik wie zu Hause und kannte Mussolini noch aus der Zeit, als sie mit den Patienten Russisch sprach.
    Der Dichter hatte schon viele Selbstmordversuche hinter sich. Einmal wollte er sich zum Beispiel vergiften. Dazu drehte er in seiner Küche den Gasherd auf und steckte seinen Kopf rein. Die Nachbarn über ihm hatten gerade eine kleine Party. Das Gas stieg nach oben, und als die Gäste gerade die Kerzen anzünden wollten, gab es einen riesigen Knall, und alle flogen in die Luft. Der Dichter bekam nicht mal einen Kratzer ab. Ein anderes Mal wollte er sich im Hotelzimmer an einem Fernsehkabel aufhängen. Das Stück, das aus der Wand hing, war jedoch viel zu kurz. Mit einem Teil seines eisernen Bettes bearbeitete der Dichter daraufhin stundenlang die Wand, um das Fernsehkabel herauszuziehen. Gegen Morgen stürzte die ganze Wand ein, und die halbe Hoteletage brach zusammen. Der Dichter blieb wieder heil. Verzweifelt sprang er später aus dem Fenster, warf sich unter die Räder eines Autos oder versuchte sich zu ertränken – alles vergeblich. Mit der Zeit entwickelte sich der Dichter zu einem Perfektionisten. Er plante seinen Selbstmord so präzise wie Bankräuber ihre Überfälle. Es half nichts. Der Tod machte jedes Mal einen großen Bogen um ihn. Als er sich zuletzt in einem Hausflur auf der Treppe die Pulsadern aufschnitt, wurde er ohnmächtig und fiel so unglücklich, dass die Treppenkante ihm die Adern abklemmte. Als die Nachbarn ihn fanden und den Notarzt holten, der ihn in die »Weißen Säulen« brachte, hatte er nur ganz wenig Blut verloren, sodass er dort schon am nächsten Tag wieder Schach spielen konnte.
    »Eigentlich ist der Mann genial«, erzählte uns Katzman, »als Schachgegner ist er in der ganzen Klinik unschlagbar, deswegen spielt er nur noch gegen sich selbst, trotzdem gewinnt er immer. Wir sind mit der Zeit richtige Freunde geworden, vielleicht nehme ich ihn mit nach Paris, wenn wir beide hier raus sind.«
    Die italienische Krankenschwester kam, um uns nach draußen zu bringen. Die Besuchszeit war zu Ende.
    »Subito, subito, Seniores«, drängelte sie uns. »Alles Verrückte hier«, schimpfte Katzman, sie lachte nur. Wir verabschiedeten uns von ihm und gingen. Als wir draußen waren, rannten Mammut und ich, ohne uns abgesprochen zu haben, sofort zur Straßenbahnhaltestelle, um so schnell wie möglich von hier wegzukommen. Diese knappe Stunde, die wir in dem Krankenhaus verbracht und die halbe Schachtel Zigaretten, die wir dort mit Katzman geraucht hatten, reichten aus, uns eine heillose Angst vor der Klapse einzujagen. Unser armer Freund musste noch ganze fünf Tage dort aushalten. »Er ist selber schuld, wir können ihm nicht helfen«, meinte Mammut, als wir in der Straßenbahn saßen.
    Fünf Tage später war Katzman tatsächlich wieder draußen, wo er sofort seine Ausreise in Angriff nahm. Mammut verließ einige Wochen später für immer die Sowjetunion – zusammen mit seiner dänischen Freundin, die wir alle die kahle Sängerin nannten. Ich suchte mir erst einmal einen Job beim Theater und fand mit Hilfe alter Beziehungen eine lauschige Wirkungsstätte.
    Der russische Theaterbund hatte die Gründung einer Theaterwerkstatt angeregt, in der junge Schauspieler und Regisseure, Dramaturgen und Bühnenbildner ihre ersten Erfahrungen sammeln konnten. Diese waren aber auch nicht ganz dumm und hauten alle nacheinander ins Ausland ab, sobald sich die Gelegenheit bot. Irgendwann

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