Miss Daisy Und Der Tote Auf Dem Wasser
vorne im Garten gesehen, als ich herunterkam«, sagte Rollo. »Sie attackierte gerade einen der Buchsbaum-Schwäne mit der Gartenschere.«
»Mutter ist unendlich begeistert, jetzt einen richtigen eng- lischen Garten zu haben. Man kann sie nur mit Mühe davon loseisen«, erklärte Tish.
Cherry grinste. »Und Onkel Rupert kriegt man von seinem Manuskript nicht weg. Wußten Sie schon, daß er seine Me- moiren schreibt, Daisy? Das scheint geradezu Pflicht für pen- sionierte Verwaltungsbeamte aus den Kolonien zu sein. Ist wohl so ein Tick wie die Angewohnheit, ihren Häusern gräß- liche Namen wie ›Bulawayo‹ zu geben. Ich bring ihm mal eine Tasse. Bei dieser Invasion wäre ja alles Personal der Welt über- fordert.« Er machte eine nachlässige Handbewegung zu sei- nen Mannschaftskameraden hin, die Tee, Kuchen und Sand- wiches eifrig zusprachen.
»Ich geh mal«, sagte Daisy. »Onkel Rupert habe ich noch gar nicht guten Tag gesagt. Gurkensandwiches schmecken ihm doch besonders, erinnere ich mich richtig?«
Sie fing gerade an, auf einem Teller die dünn geschnittenen, krustenlosen Weißbrot-Dreiecke anzuhäufen, als Tish, die Teekanne noch in der Hand, sie bremste.
»Ich fürchte, Daddy ist geflüchtet«, sagte sie mit einem sol- chen Schuldbewußtsein in der Stimme, als sei sie persönlich verantwortlich dafür, daß ihr Vater seinen Pflichten als Gastge- ber nicht nachkam. »Er meinte, wenn Dutzende von Sportlern in seinem Haus herumtrampeln, käme er nicht zum Schreiben. Also hat er sein Opus magnum gepackt und ist zu seinem Club aufgebrochen. Bister hat ihn zum Bahnhof gebracht, als er dich abgeholt hat. Du hast ihn wahrscheinlich knapp verpaßt.«
Cherry lachte, nur Rollo wirkte betrübt.
»Verflixt, das tut mir aber wirklich leid, Tish«, sagte er. »Du hättest nur etwas zu sagen brauchen. Ich hätte die Jungs
schon diszipliniert.«
»Ist schon in Ordnung, mein Großer«, sagte Tish liebevoll. »Mutter sagt, er sei doch selber schuld, wenn er die Mann- schaft einlädt. Sie ist das natürlich von Afrika gewöhnt. Da brachte man jeden Europäer auf der Durchreise bei sich unter. Vater hat mir wahrscheinlich gar nicht zugehört, als ich ihm das vorschlug. Soll es ihm eine Lehre sein, in Zukunft auf die Worte seiner Tochter zu achten.«
»Typisch Mann!« sagte Dottie und fügte noch etwas hinzu, was Daisy nicht verstand.
Cherry erwiderte etwas, das so klang, als sei es in derselben Sprache gesagt.
»Griechisch«, sagte Tish, als sie Daisys verwirrten Ge- sichtsausdruck sah. Dottie und Cherry entfernten sich von den anderen und stellten sich ans Terrassengeländer, tief in eine schnell begonnene Debatte versenkt. »Altgriechisch allerdings, nicht die moderne Sprache. Ich verstehe es auch nicht, kann es nur erkennen.«
»Mir kommt das sehr spanisch vor«, warf Rollo ein und schien mit seinem kleinen Scherz durchaus zufrieden. »Ich hab ein Jahr Griechisch in der Schule gehabt, aber so recht be- griffen hab ich es nie. Latein war ja schon schlimm genug.«
»Also werden Sie wohl im Hauptfach keine der alten Spra- chen studieren«, sagte Daisy lachend.
»Ich doch nicht! Alles schön neusprachlich. Französisch habe ich mühelos gelernt, als wir in Frankreich waren, und Deutsch in der Besatzungszeit. Ich war Verbindungsoffizier – damals.«
»Das muß ungeheuer interessant gewesen sein.«
»Sehr sogar. Die Aufgabe hat mich begeistert. Der einzige Ärger ist nur, daß eine Sprache zu sprechen was ganz anderes ist, als sie zu schreiben, ganz abgesehen vom Lesen und Lite- ratur-Diskutieren und dem ganzen Kram. Die Aufnahmeprü- fung vom Ambrose College hätte ich nie geschafft, wenn es da keine Sonderkonditionen für die Veteranen des Großen Krieges gäbe. Und natürlich, wenn mein Vater nicht auch am Ambrose studiert hätte. Zu dumm, daß ich jetzt durch die Prüfungen für die Universitätszulassung gefallen bin«, endete er kummervoll.
»So ein Pech aber auch«, sagte Daisy.
»Pech kann man das nicht nennen. Ich hätte mal lieber mit dem Rudern aufhören und mich auf meine Prüfungen kon- zentrieren sollen. Ich weiß, ich bin nicht so schlau wie Cherry, der gleichzeitig gerudert und genug gebüffelt hat, um mit einer ordentlichen Note durchzukommen.« Rollo blickte sich um und senkte die Stimme. »Ganz abgesehen von diesem gräßlichen Giftzwerg Bott, der ohne die geringste Mühe Best- noten erreicht.«
Daisy sah den armen Bott allein auf einer Bank am gegen- überliegenden Ende der Terrasse sitzen und
Weitere Kostenlose Bücher