Miss Daisy und der Tote auf dem Wasser
hiesigen Rennen drüben schon ein Begriff.
Und wenn ein amerikanisches Boot gewinnt, sowieso. Aber mein Redakteur wollte eher einen Artikel über die gesellschaftlichen Ereignisse von mir.«
»Sekt und Erdbeeren in der Stewards’ Enclosure?« fragte Tish.
»Ja, genau so was. Ascot-Hüte, das Feuerwerk vom Phyllis Court. Ein alter Freund von meinem Vater ist da Mitglied, und der Mann einer Freundin ist Mitglied in der Stewards’
Enclosure. Beide waren so freundlich, mich einzuladen. Aber über die Kirmes gibt’s natürlich auch einen Absatz oder zwei.«
»Krethi und Plethi sollen sich auch amüsieren dürfen, auf 12
ihre Weise«, bemerkte Dottie. »Na, primstens. Da würde ich Ihnen gerne bei der Recherche helfen. Ich wollte schon längst mal auf das Riesenrad.«
Tish schauderte. »Aber ohne mich! Zugegeben, ich bin ein richtiger Angsthase. Wir können ja Cherry und Rollo fragen, ob sie uns nach dem Tee dahin begleiten.«
»Rollo?« fragte Daisy unschuldig.
»Roland Frieth.« Über Tishs helle Haut glitt eine zarte rosa Wolke. Was ihre Mutter Daisy angedeutet hatte, war damit wohl bestätigt. »Ein Sportsfreund von Cherry.«
»Und der Mannschaftskapitän von Ambrose«, warf Dottie ein. »Ach, da sind sie ja schon.«
»Gehen wir ihnen mal lieber aus dem Weg, wenn sie das Boot aus dem Wasser holen«, riet Tish. »Das ist schließlich eine ernste Angelegenheit.«
Auf der Flußmitte brachte sich ein einsames Moorhuhn
mit pickenden Kopfbewegungen in Sicherheit, während das Boot sanft hinter den Skiffs an den Landungssteg herankam.
Der Steuermann, ein kurzer und drahtiger junger Mann, dessen sonnengebräunte Knie knubbelig unter den weinroten Ruder-Shorts hervorlugten, sprang heraus. Er hielt das Heck fest, während seine Mannschaft durchzählte.
»Bug.« Daisy erkannte Tishs Vetter Erasmus »Cherry«
Cheringham sofort. Damals, erinnerte sie sich, war der blonde, ernst dreinblickende junge Mann nicht ganz so breit und muskulös gewesen.
»Zwei.« Noch ein breiter, muskulöser junger Mann, dieser mit dunklem Haar. Er winkte kurz fröhlich zu ihnen herüber.
Daisy nahm an, daß die Mannschaft dieses Rennen wohl gewonnen hatte.
»Drei.«
»Vier.«
»Fünf.«
»Sechs.«
»Sieben.«
»Schlagmann.« Im Gegensatz zu den anderen wirkte der
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Schlagmann unzufrieden. Das war aber auch alles. Ansonsten hätten sie Siebenlinge sein können, so sehr ähnelten sich diese jungen Männer, dachte Daisy. Sah man von der unterschiedli-chen Haarfarbe ab.
Auf das Kommando des Steuermanns traten acht breite,
muskulöse, schwitzende junge Männer auf die Bohlen des Landestegs. Unter Daisys Füßen wippten sie, und sie machte rasch einen Schritt auf den festen Grund des Rasens.
Bugmann und Schlagmann hielten das Boot fest, während die anderen sechs ihre Ruder auf dem Gras auslegten. Dann beugten sich alle acht Ruderer zum Boot hinab.
»Angepackt«, befahl der Steuermann. »Achtung. Und
hoch!«
Mit elegantem Schwung kam das Boot aus dem Wasser und wurde kieloben über die Köpfe gehoben.
»Fertig. Abgang!«
Die längliche Schildkröte mit den vielen Beinen wanderte zum Bootshaus. »Den hätten wir in der Tasche, die Damen«, rief sie fröhlich im Gehen. »In einer Minute sind wir bei euch!«
Tish und Dottie hoben jeweils einen Riemen mit dem weinrot-grün-weiß gestreiften Band auf und folgten der Mannschaft. Daisy beäugte die verbleibenden vier Meter langen, tropfenden Ruder und beschloß, sich diesmal mit dem Helfen zurückzuhalten.
Auch der Steuermann blieb stehen und starrte seinen Kameraden stirnrunzelnd hinterher.
»Ich dachte, Sie hätten gewonnen?« fragte Daisy mitleidig, aber auch verwirrt.
»Was? Ach so, ja, gewonnen haben wir schon.« Der vor-
nehme Oxford-Akzent lag etwas unsicher über dem leicht jammerigen Näseln aus den Midlands. »Wir sind ja ein kleines College, das im Grand, also im Großen Rennen, keine
Chance hat. Aber den Thames Cup könnten wir schaffen.«
»Doch es scheint nicht so, als würde Sie das besonders glücklich machen. Ach so, ich bin übrigens Daisy Dalrymple, die Cousine von Patricia.«
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»Horace Bott. Sehr angenehm. Natürlich freue ich mich, daß wir diesen Durchlauf gewonnen haben«, fuhr er düster fort, »aber selbst wenn wir bis zum Schluß durchhalten und sogar gewinnen, bin ich immer noch ein Außenseiter.«
»Weil Sie nicht rudern?«
»Weil ich nicht der richtigen Familie entstamme, nicht den richtigen Akzent habe, nicht die richtigen Kleider trage
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