Mit 80 000 Fragen um die Welt
Seil, das löst eine Mini-Sintflut aus, und schon schießt eine Plastikarche über eine Wasserrutsche und knallt gegen die Wand. Manchmal kippt das Schiff dabei um.
«Erkennst du das hier?»
Deborah deutet auf eine Holzkiste mit Tragegriffen, die jemand mit goldener Farbe besprüht hat. Darauf stehen zwei Plastikengel. Die Bundeslade.
«Das habe ich schon mal bei Indiana Jones gesehen», antworte ich, und sie blickt mich fragend an.
Eigentlich ist Deborah gelernte Stewardess, dann aber folgte sie den Visionen ihres Vaters, des Archetypen. Nun führt sie Schulklassen, Rentner und Presseleute durch das Schiff – ein anständiger Job. Andere in ihrem Alter besuchen Castings und enden als Käsemädchen.
«Geht es hier auch ein wenig um Mission?»
«Türlik, wir wollen den Leuten zeigen, dass die Bibel echt gut ist und dass man viel aus ihr lernen kann. Das ist unser großes Ziel. Wollt ihr noch die oberste Etage des Schiffes sehen?»
Wir folgen Deborah auf das Oberdeck. Dort präsentiert sie uns einen ausgestopften Noah aus Textil. Er sieht angeschlagen aus. Mit gekrümmtem Rücken und Schreibfeder in der Hand beugt sich der Meister über eine Papyrusrolle. Sein grauer Haarkranz ist ihm über die Schulterngewachsen und fließt in einen langen grauen Rauschebart. Das karge Leben auf der Arche hat dunkle Schatten in sein Gesicht gezeichnet.
«Das zeigt ihn, als er schon 600 Jahre alt war!»
«600 Jahre?»
«Ja, das ist unglaublich, oder?»
Ein biblisches Alter, das stimmt. In den Geschichten der Heiligen Schrift überdauern manche Protagonisten eben Jahrhunderte. Noah starb übrigens erst mit 950 Jahren. Im zarten Alter von 500 zeugte er seine drei Söhne.
Weiter hinten im Schiff stehen Plakatwände mit Fotos und Textwüsten. «Wat zegt de Bijbel?» steht darüber. Deborah erklärt, es handele sich um wichtige Informationen zur Schöpfungsgeschichte.
«Seid ihr daran auch interessiert?»
«Nur so ganz grob: Schöpfung oder Evolution?»
«Schöpfung natürlich. Also, wir stammen sicher nicht vom Affen ab», lächelt Deborah, und so langsam zweifele ich an ihr.
«Das sind Kreationisten, Dennis», flüstert mir der Produzent zu.
«Was?»
«Die glauben noch an Adam und Eva!»
Und plötzlich fällt mir ein, was ich über Johan Huibers, den Nachwuchsnoah, gelesen hatte. Nach seinem Albtraum soll er verkündet haben, von nun an glaube er jeden Buchstaben in der Bibel. Was das bedeutet, kann ich jetzt live und in Farbe sehen. Wir schlendern an einer Wandmalerei vorbei. Zarte braune Pinselstriche auf weißer Fläche. Im Vordergrund ist Noah zu sehen, im Hintergrund ein zotteliger Elefant mit erstaunlich langen, geschwungenen Stoßzähnen. Hat der Bibelkapitän auch Mammuts gerettet?Deborah führt uns zu einer Schautafel mit den Kontinenten und einer Zeitleiste. Überschrift: «Creation versus Evolution».
«Wir glauben, dass die Erde erst 6000 Jahre alt ist.»
«6000? Das habe ich noch nie gehört.»
«Doch, es ist wahr!»
«Seltsam, meine Biolehrerin hat uns immer von der Evolution erzählt. Darwin. Survival of the Fittest und der ganze Kram. Das soll viel länger gedauert haben.»
Deborah schüttelt den Kopf und deutet auf das Bild eines Einzellers.
«Soll das dein Ur-Opa sein? Das glauben wir nicht. Gott hat den Menschen und alle Tiere in sechs Tagen erschaffen. 4000 Jahre vor Christus.»
«Aber gibt es nicht wissenschaftliche Funde, Fossilien, die viel älter sind?»
«Ich bin kein Wissenschaftler. Und unser Glaube ist keine Wissenschaft. Wir glauben, was die Bibel sagt, und überhaupt: In der Zeitung steht, diese Fossilien sind Millionen Jahre alt. Aber nicht alles, was in der Zeitung steht, ist richtig. Vielleicht ist die Bibel richtig?»
Deborah drückt mir ein orangefarbenes Büchlein in die Hand. Auf dem Cover ist eine Arche Noah und noch etwas anderes. Grün, groß und gefräßig: ein Tyrannosaurus Rex. Titel: «Dinosaurier und die Bibel».
«Noah hatte Dinosaurier auf seiner Arche?»
«Türlik!»
«Wie sollen die denn auf das Schiff gepasst haben?»
«Noah hat nur Dinosaurierbabys mitgenommen. Die waren noch ganz klein und harmlos. Außerdem: Alle Dinosaurier waren ursprünglich Vegetarier, Fleischesser sind erst nach der Flut entstanden.»
Ich sehe in Deborahs blaue Kulleraugen und suche darin nach Zweifeln. Nichts. «Das sind alles völlig neue Erkenntnisse für mich. Darüber muss ich erst nachdenken.»
«Ja, die Medien wollten nicht, dass das bekannt wird. Aber jetzt
Weitere Kostenlose Bücher