Allmen und der rosa Diamant
Martin Suter
Allmen und der rosa Diamant
Roman
Diogenes
Erster Teil
1
Allmen war etwas nervös. Jeden Moment würde die Rezeptionistin Montgomery melden. Er saß hinter dem Mahagonischreibtisch eines Büros von Grant Associates in Knightsbridge. Durch das von schweren Vorhängen flankierte Fenster sah er auf den Verkehr des South Carriage Drive und den Regent’s Park.
Es war der Sorgfalt zu verdanken, mit der er sein Netzwerk aus früheren, besseren Zeiten pflegte, dass er dieses Büro als Besprechungsort gefunden hatte. Diesmal war es ein alter Schulkamerad aus dem Charterhouse gewesen, der ihm beigesprungen war. Er hieß Tommy Grant, ein gutmütiger, etwas schwerfälliger Junge, aus dem, wie es die Familientradition verlangte, ein Anwalt und seit kurzem der Senior Partner von Grant Associates geworden war, einer vornehmen Anwaltskanzlei in vierter Generation.
Tommy hatte sich über Allmens Anruf gefreut, ihn zum Abendessen mit seiner langweiligen Frau und seinen beiden gelangweilten halbwüchsigen Söhnen eingeladen und überließ ihm nun gerne ein Büro für einen Tag. Oder auch zwei oder drei. Seit sein Vater sich aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen habe, werde es ohnehin nur noch ein paarmal im Jahr benutzt.
Und so konnte er Montgomery im repräsentativsten Büro der alten Kanzlei empfangen. Ein nicht zu unterschätzender Vorteil bei Allmens Bestrebungen, Allmen International Inquiries endlich zum ersehnten internationalen Durchbruch zu verhelfen.
In den zwei Jahren seit der Gründung hatte sich ihr Tätigkeitsfeld vor allem auf die Schweiz beschränkt. Und auf eher kleinere Fälle. Bei keinem davon ging es auch nur annähernd um Beträge wie bei der spektakulären Wiederbeschaffung der Libellenschalen. Es handelte sich um Bilder und Kunstgegenstände im fünfstelligen Bereich von Auftraggebern aus dem Kunst- und Antiquitätensektor.
Die Website allmen-international.com hatte Carlos auf seinem Secondhandcomputer erstellt. Allmen hatte den Text entworfen und die Ästhetik bestimmt. Die Homepage hatte einen flanellgrauen Hintergrund. Ganz oben am Bildrand, gleichmäßig über die ganze Breite verteilt, standen in einer silbernen, elegant spationierten klassischen Antiqua die fünf Städtenamen: New York, Zürich, Paris, London, Moskau. Darunter etwas größer: »Allmen International Inquiries«. Gefolgt von dem Slogan, auf den Allmen ziemlich stolz war: »The Art of Tracing Art.« Was mit »Die Kunst der Fahndung nach Kunst« nur sehr unvollkommen übersetzt wäre und deswegen nur auf Englisch dastand.
Dieser etwas großspurige Internetauftritt täuschte nur auf den ersten Blick darüber hinweg, dass Allmen International Inquiries es noch nicht geschafft hatte, sich von einer schäbigen Hinterzimmerdetektei zu unterscheiden.
Das Einkommen der Agentur bestand in der Hauptsache aus den Stundensätzen, die sie ihren Auftraggebern in Rechnung stellten, und hie und da einer Erfolgsprämie, ein paar Prozent vom Wert des Wiederbeschafften, also dementsprechend bescheiden.
Für Carlos genügte dieses Einkommen immerhin, um seine Tätigkeit als Gärtner und Hausbesorger für die Treuhandfirma, die Allmens Villa Schwarzacker gekauft hatte, auf einen Halbtagsjob zu reduzieren. Aber für Allmens Lebensstil waren es Peanuts. Immer wieder war er gezwungen, Stücke aus seiner eigenen Sammlung schöner Dinge zu verkaufen. Und schon bald würde er wieder Objekte veräußern müssen, die er sich auf andere Art beschafft hatte. Irgendwo und irgendwie.
Deshalb mussten bei diesem Treffen mit Montgomery einfach alle Details stimmen.
»Will you see Mister Montgomery, Sir?«
Allmen zuckte zusammen. Die Stimme kam aus der für den etwas schwerhörigen alten Grant überlaut eingestellten altmodischen Gegensprechanlage. Er drückte auf die abgegriffene Sprechtaste und ließ bitten.
Montgomery war etwas jünger als Allmen, er mochte Ende dreißig sein. Er trug einen gutsitzenden Businessanzug, war sonnengebräunt, sein kurzgeschnittenes Haar war frühzeitig ergraut. Er betrat den Raum selbstsicher und ohne sich umzusehen, als wäre er solche Interieurs gewohnt.
Bei seinem Eintreten war Allmen aufgestanden und ihm entgegengegangen. Er registrierte bei der Begrüßung, dass sein Besucher nicht das Upper-Class-Englisch sprach, das zu seinem Aussehen gepasst hätte.
Er bot ihm einen Sessel aus der schweren Ledersitzgruppe an und setzte sich ihm gegenüber.
»Tee?«
Montgomery lehnte
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