Mit 80 000 Fragen um die Welt
Mund, kein krachendes Gebiss – Wilma ist witzigund charmant, alles läuft bestens. Bis kurz vor Schluss. Bis zu dem Moment, in dem sie ihre Frage an die Welt verkünden soll. Die Masterfrage. Der Höhepunkt des Films. Die gefährliche Mission, die ich für Frau Brunkhorst eines Tages irgendwo auf diesem Planeten bestehen soll. Ich habe lange darüber nachgedacht und lasse sie nun die Frage aller Fragen vorlesen:
«Wie schmeckt Kängurufleisch?»
«Das ist alles?», fragt jemand aus der Redaktion. «Hat sie nicht noch was anderes gefragt?»
«Das ist alles», antworte ich, nehme meinen Koffer und schlurfe ein wenig heruntergebrochen in die große weite Welt. Für Wilma Brunkhorst, für meine Zuschauer und für Sie, liebe Leser. Oder um es mit den Worten eines ehemaligen Bundespräsidenten zu sagen: «Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Neger.»
KAPITEL 1
«IST HOLLAND IN NOT?»
DIE KÄSEMÄDCHEN
Meine Weltreise beginnt in einem gemieteten Opel Corsa auf der A1 Richtung Amsterdam. Und irgendwo zwischen Oldenzaal und Apeldoorn ist sie schon fast wieder zu Ende. Rushhour. Ich bin in Eile und fahre links, zu schnell, Regen klatscht auf die Scheibe, und plötzlich steigt mein Vordermann beherzt in die Eisen. Blind reiße ich das Steuer nach rechts, mein Kotflügel fliegt haarscharf am Heck des anderen vorbei, und wie durch ein Wunder stoße ich in eine Autolücke, die wohl der liebe Gott gerade für mich geöffnet hat. Ich lasse den Wagen ausrollen und blicke den Produzenten an. Ich glaube, er ist tot.
Er heißt eigentlich Matthias, aber ich nenne ihn «den Produzenten», weil das so schön kalt und gefühllos klingt. Manche nennen ihn auch verrückt, weil er meine sonderbare Weltreise finanziert und mich mit seiner Kamera begleitet. Vor allem aber ist er ein guter Freund. Und so langsam kehrt gottlob wieder Farbe in sein Gesicht zurück.
«Hast du mal ein Sicherheitstraining gemacht?»
«Nein, ich habe Computer gespielt.»
Das erklärt meine guten Reaktionen auf holländischen Autobahnen. Und es erklärt mein Fernweh . Denn in den letzten Jahren habe ich viel zu viel Zeit am Bildschirm verbracht und viel zu wenig von der Welt gesehen. Kein Urlaub, kein Privatleben, Arbeit wie ein Besessener. Und in den Nächten, in denen ich vor Besessenheit nicht schlafen konnte, habe ich wie besessen gezockt. Pixelarmeen flimmerten durchmeine Wohnung – ich habe sie alle niedergemacht. Autorennen – ich habe sie alle gewonnen. Und vielleicht hat uns das gerade den Hintern gerettet.
Reisen kenne ich eigentlich nur aus meiner Kindheit. Meine Mutter war mit mir auf Rhodos, an der Costa Brava und ein paarmal auf den Kanarischen Inseln. Und einmal im Jahr bin ich mit meinen Großeltern in ihrem weißen VW Passat Baujahr 77 nach Holland gefahren. Weil die beiden grundsätzlich zu viel Gepäck mitnahmen – ich erinnere mich an Kühltaschen, Federbetten und das hellgrüne Plastikbidet meiner Großmutter –, reisten wir immer mit einemoffenen Anhänger, in dem auch unsere Fahrräder Platz fanden. Von meiner Heimatstadt Osnabrück dauerte es etwa eine Stunde bis zur Grenze, dann fing ich auf dem Rücksitz an zu quengeln: «Wann sind wir endlich daha?»
Das brachte meinen Großvater eines Tages so auf die Palme, dass er mir vor der nächsten Reise einen Auftrag gab: «Pass auf, mein Junge, diesmal musst du mir helfen: Weil du hinten sitzt, hast du den besten Blick auf unseren Hänger. Lass ihn auf der Fahrt nicht aus den Augen und sag mir sofort Bescheid, wenn er sich löst!» Von nun an konnten meine Großeltern die dreistündige Fahrt an die holländische Westküste völlig ungestört verbringen. Nur ab und zu meldete ich mich von der Rückbank und rief: «Alles klar, Opa! Der Hänger ist immer noch da!» Dass das ein fieser Trick war, ist mir erst kürzlich klargeworden.
Nun sitze
ich
am Steuer, und die holländische Grenze liegt etwa anderthalb Stunden hinter uns. Der Produzent und ich sind auf dem Weg nach Abcoude, einem Städtchen bei Amsterdam, und schon wieder jagen wir Kindheitserinnerungen.
Denn die Zuschauer wollen nicht nur wissen, ob Holland in Not sei. Sie gaben mir noch eine andere, ebenso berechtigte Frage mit auf den Weg: «Was macht eigentlich Frau Antje?» Und warum sollte man diese beiden Anliegen nicht kombinieren?
Ich musste nicht lange recherchieren, bis ich sie aufgespürt hatte: Frau Antje, die blonde Dame aus der Werbung, die immer so nett lächelte, wenn sie «echten Käse aus Holland»
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