Mit 80 000 Fragen um die Welt
Hauptstadt der Diebe und Kidnapper, benehmen wir uns so sorglos wie eine japanische Reisegruppe auf Schloss Neuschwanstein. Wir hätten tot sein können. Bestenfalls hätte man uns das Leben und die Unterhosen gelassen, und wir stünden nun irgendwo in irgendeinem Viertel von Buenos Aires ohne Kleidung da – ohne Kamera, ohne Pässe, ohne Geld, ohne Handy und ohne irgendeine Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll. Die Welt ist kein Abenteuerspielplatz, und Mutti holt dich nicht ab, wenn du heulst.
Auf der Weiterfahrt zum Hotel sprechen Thomas und ich kein Wort. Die Polizei hatte uns ein offizielles Radiotaxi gerufen, mit Schild und Nummer, und ohne weitere Zwischenfälle erreichen wir unser Ziel. Ich ärgere mich über mich selbst, werfe wutentbrannt die Tür ins Schloss und schmeiße mich auf das Hotelbett. Vielleicht wird es Zeit, nach Hause zu kommen. Vielleicht sollte die Frage «Sind alle Latinos Machos?» erst mal meine letzte sein. Zitternd am ganzen Körper blicke ich aus dem Fenster auf die Betonwüste, die manche Menschen Paris des Südens nennen.
Buenos Aires besteht offenbar nur aus Straßen, eine gigantische Carrerabahn, laut und versmogt. Da hilft es auch nicht, dass der Name der Stadt so etwas wie «guteLuft» bedeutet. Ich versuche die Spuren der Fahrbahn zu zählen, die an meinem Hotel vorbeiführt. Sind es siebzehn? Oder achtzehn? Alles in dieser Stadt scheint laut, breit und mächtig zu sein. Auf einer Verkehrsinsel thront das Wahrzeichen von Buenos Aires: der Obelisco. Ein gigantischer Phallus – in Stein gehauener Machismo. Was will man auch von einem Land erwarten, das Diego Armando Maradona zum Nationalhelden verklärt?
Apropos: Was weiß die Welt über argentinische Männer? Nicht viel. Man kennt sie eigentlich nur von Fußball-Weltmeisterschaften. Abgesehen von Maradona ist der argentinische Mann in der Regel groß, nicht hässlich, trägt langes Haar und verliert nicht gern. Und wenn er verliert, zeigt er Nerven. Es beginnt mit kleinen fiesen Tritten. Heimtückische Attacken hinter dem Rücken des Schiedsrichters. Mit dem Frust steigt auch die Gewaltbereitschaft. Aus kleinen Fouls werden Attentate auf Leib und Leben. Meistens ist ein Drittel der argentinischen Nationalmannschaft schon lange vor Ende des Spiels unter der Dusche. Wer bei Schlusspfiff doch noch auf dem Rasen ist, wirft sich auf selbigen und beginnt, hemmungslos zu heulen. Im Anschluss folgt gerne noch eine wilde Prügelei mit der Siegermannschaft.
Wenn diese hinterlistigen Aggro-Heulsusen den Typus des argentinischen Mannes verkörpern, dann dürfte die argentinische Frau nicht besonders viel zu lachen haben. Oder doch? Ich besuche das «Instituto Social y Político de la Mujer», ein Fraueninstitut. Und ja, während ich «Frauen institut » schreibe, läuft mir ein Schauer über den Rücken. Aber ich liege völlig falsch.
Argentinische Feministinnen haben nichts mit deutschen Feministinnen zu tun. Vor ein paar Tagen schon baten sie mich, unseren Termin um eine Stunde zu verschieben.Man brauche «noch mehr Zeit, um hübsch zu sein». Und jetzt sitze ich tatsächlich einigen der attraktivsten Frauen gegenüber, denen ich in meinem Leben begegnet bin. Acht Latinas. Sie quatschen wild durcheinander, als ich das Thema «Machismo» anspreche. Es sind ähnlich theatralische Gesten, wie ich sie von ihren fußballspielenden Landsmännern kenne. Sie streiten, sie quietschen, sie schaukeln sich hoch.
«Würden Sie sich als Feministinnen bezeichnen?»
«Si!» – «Si!» – «Siiiii!», schallt es aus acht Kehlen.
«Und haben Sie Machos zu Hause?»
Die lauteste Frau aus der Runde hebt zu einer Antwort an. Ich weiß nicht, warum, ich wünschte, sie würde mich mit Tellern bewerfen.
«Hör zu! Mit meinem Mann ist das so: Ich habe ihn gezähmt! Er ist jetzt ein männlicher Feminist.»
Sie nickt in die Runde, und die anderen Frauen lachen.
«Mein Mann kocht für mich, und in meinem Haus wird kein Fußball geguckt!»
Die Feministinnen sagen, der Machismo sei ein nicht totzukriegender Bestandteil der argentinischen Kultur. Uraltes Mann-Frau-Gattungsverhalten: Er macht Karriere, ist laut und bestimmend, sie unterwirft sich. Und die Kinder drehen am Rad.
«Weißt du», ruft eine andere, «Frauen leiden unter dem Machismo, weil sie sich unterdrückt fühlen. Aber auch die Männer leiden. Sie werden dazu erzogen, stark zu sein, nicht zu weinen und keine Emotionen zu zeigen. Und sie müssen die Familie ernähren, das ist eine große
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