Mit 80 000 Fragen um die Welt
wäre gern ein Macho.»
«Hast du das Gefühl, dass du kein Macho bist?»
«Ich denke, ich könnte härter sein.»
«Wie bist du denn groß geworden? Ich meine: Welches Vorbild hast du gehabt, als du klein warst?»
«Ich bin bei Mutti und bei Oma aufgewachsen.»
«Ach so.»
Meine Güte, der Doktor ist ein Profi.
«Wie werde ich denn ein Macho?»
«Das ist ganz leicht: ignorant sein, kein Sushi essen und nicht kochen.»
«Ach so.»
Das Leben kann so einfach sein, warum bin ich nicht früher zum Psychologen gegangen? Aber auf Sushi möchte ich trotzdem nicht verzichten.
«Wissen Sie, manchmal glaube ich, ich bin zu nett.»
«Was heißt ‹zu nett›? Gab es Frauen, die so etwas zu dir gesagt haben?»
«Na ja, schon.»
«Dann such dir eine Frau, die das nicht sagt.»
«Das ist alles?»
«Ja. Machos sind Machos, weil sie ein riesiges Problem mit ihrer Männlichkeit haben. Sie sind schlecht im Bett, können sich nur über Fußball und Frauen unterhalten, lassen sich von vorne bis hinten bedienen und wollen eigentlich zurück zu Mutti. Und Frauen, die auf Machos stehen, haben einen Knall. In Wirklichkeit suchen sie ihren viel zu strengen Macho-Vater.»
«Sind denn alle Latinos Machos?»
«Nein, die meisten sind Heulsusen.»
Und so löst der Doktor innerhalb weniger Minuten alle Probleme, die ich seit der Grundschulzeit mit meinerMännlichkeit hatte. Endlich kann ich den Machos dieser Erde auf Augenhöhe begegnen. Aber wo begegne ich ihnen eigentlich? Nun ja, etwas fehlt noch in meiner Geschichte. Ich kann Argentinien doch nicht verlassen, ohne Gauchos gesehen zu haben.
Es ist nicht schwer, die legendären Rinderzüchter zu finden. Man trifft sie jeden Sonntag auf der Feria de Mataderos, einem Markt in einem der ärmsten Viertel von Buenos Aires. Vor einem alten Schlachthof steht eine Bühne. Sie bleibt den ganzen Tag nicht leer. Wer etwas kann, der tritt auf. Flamencogruppen, Tangotänzer, die Theaterklasse des Stadtteils. Zwei Meter daneben grillt ein dicker Mann mit fettbeschmierter Schürze Rindersteaks auf offenem Feuer. Die Rauchschwaden ziehen über das Podest und verhüllen den ganzen Platz. Auf dieser Feria gibt es keine Touristen, hier ist die Seele der Stadt zu Hause.
Neben dem Schlachthof haben die Gauchos eine Straße gesperrt und den Asphalt mit Sand bestreut. Am Ende des Sandwegs steht ein Tor: zwei drei Meter hohe Pfeiler, zwischen denen eine gestreifte Holzlatte hängt. Von der Mitte der Latte baumelt ein kleiner goldener Ring. Plötzlich reitet einer der Latino-Cowboys, ein Junge von vielleicht fünfzehn Jahren, in vollem Galopp über die Straße. Der Junge erhebt sich aus dem Sattel, stellt sich in seine Steigbügel, lässt mit einer Hand die Zügel los und versucht, mit einem kleinen Eisenspieß den Ring zu durchstoßen. Gelingt es ihm jetzt, ist er ein Mann. «Sortija» nennen die Argentinier dieses Ritual, Ringreiten. Das Lange muss ins Runde. Doch der Junge verfehlt.
Wenn du die Männer hier fragst, ob sie Machos seien, bekommst du immer die gleichen Antworten. «Natürlich! Ich bin der größte Macho, der hier rumläuft!» und «Hey, wirsind vom Dorf. Da sind alle Machos!» und «Klar bin ich ein Macho. Ich möchte sonntags die Sortija reiten, meine Frau kann schön zu Hause bleiben, putzen und kochen». Ein weißhaariger alter Mann mit Baskenmütze und Trinkernase erzählt mir, er sei nur ein halber Macho. «Ich habe nur ein Ei! Das andere hat mir der Doktor abgeschnitten.»
Ich möchte wissen, wie diese angeblichen Supermachos wirklich sind, und folge ihnen zur Bühne, vor der hundert Leute warten. Auf dem Podium steht ein bärtiger Mann mit Cowboyhut und Mikrophon. «Señoras y señores!» – mit großer Geste kündigt er einen Gitarrero an: Daniel «El Negro» Ferreyra. «Das ist der Beste!», flüstert mir der eineiige Macho zu. «Das wird ein Fest!» Es dauert keine Minute, dann betritt ein kleiner, schmächtiger Kerl mit Hasenzähnen die Bühne. Er war offenbar zu oft auf der Sonnenbank. El Negro schnappt sich eine Klampfe, wackelt mit dem Kopf, grinst, und ich erwarte keine große Kunst.
Aber schon nach zwei Akkorden beginnen die ersten Leute zu klatschen. Olé! El Negro wischt schneller über die Saiten als Santana, Slash oder Hendrix. Hat er fünf rechte Hände? Oder sechs? Der Gitarrero spielt mit den Zähnen, dann legt er die Gitarre auf seinen Rücken und spielt weiter. Jetzt hält er sein Instrument wie ein Gewehr, schießt lachend in die Menge, und die Machos
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