Mit anderen Augen (German Edition)
jemandem am Telefon, dass er sich nicht von einem Russen einschüchtern lassen würde.“
Richard Whistler wusste von dem Mordauftrag gegen ihn? Das ist mir neu und es beschert mir eine Gänsehaut. „Woher wusste er von Romanov?“
Der Junge schüttelt den Kopf. „Ich weiß nicht, was er wirklich von dir wusste. Er hat nur gesagt, er hat Ärger mit ein paar Japanern und dass die ihm einen Russen schicken würden, um irgendein Geschäft zu machen.“
Das würde zu meinen Erfahrungen passen. Die Yakuza droht gerne und sie gibt gern letzte Warnungen, bevor sich das Blatt wendet und die Sache ernst wird. Es ist sehr gut möglich, dass sie Richard Whistler auf diese Weise dazu bringen wollten, nach ihrer Pfeife zu tanzen. Als er ablehnte, war er fällig.
Bob maunzt und springt zurück aufs Bett, wo er sich hinsetzt und anfängt sich zu putzen. Offenbar sieht er in mir keine Bedrohung und ich weiß, um ehrlich zu sein, nicht, wie ich das finden soll. Whistler fragt sich das ebenfalls, sein verwunderter Blick spricht Bände, aber gleichzeitig scheint sein Kater ihn etwas zu beruhigen. Der panische Ausdruck verschwindet langsam aus seinem Gesicht.
„Erschießt du mich jetzt?“, fragt er, als das Schweigen zwischen uns drückend wird, und streichelt Bob über den Kopf, der das mit einem lauten Schnurren kommentiert, bevor sich der Kater auf der Bettdecke zusammenrollt und mich ansieht.
„Nein.“
Keine Ahnung, warum ich das gesagt habe, aber Bob ist zufrieden, denn er gähnt und schließt die Augen. Irgendetwas läuft hier gerade mächtig schief.
„Warum nicht?“, will Whistler wissen.
„Ich bevorzuge Klingen“, ist meine ziemlich platte Antwort, obwohl sie der Wahrheit entspricht. Wenn ich in einem Mehrparteienhaus mit einer Waffe arbeite, kann ich sicher sein, in weniger als fünf Minuten die Cops vor der Tür zu haben.
Einen Polizisten habe bislang noch nicht getötet und ich möchte es sehr ungern tun. Ich habe nur wenige Prinzipien, aber Polizisten und Kinder stehen bei mir auf derselben Stufe wie Haustiere. Man tötet sie nur, wenn es sich wirklich nicht vermeiden lässt. Soweit musste ich bislang noch nicht gehen und ich hoffe, dass das so bleibt.
„Wie bei meinem Vater?“, reißt mich Whistlers Frage aus meinen Gedanken und ich nicke, bis mir im nächsten Augenblick einfällt, dass er das nicht sehen kann.
„Ja.“
Whistler schweigt, überlegt eine Weile und setzt sich dann in einen Schneidersitz. „Warum zwei Stiche? Die Polizei hat uns gesagt, schon der erste wäre tödlich gewesen.“
Das hat er nicht gefragt, oder etwa doch? Was will er? Wieso ist ihm das wichtig? Was ist zwischen Whistler und seinem Vater abgelaufen, dass er ihn erstens tot sehen wollte, mir zweitens sogar mehr als zehn Millionen bezahlt hätte, und mich jetzt sogar nach Details über den Mord fragt?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich darauf eine Antwort will.
„Zur Sicherheit“, sage ich daher schlicht, denn das gehört zu meinem Job. Prüfen und sichergehen, dass das Opfer wirklich tot ist, und wenn nicht, nachhelfen.
„Machen Auftragskiller das so?“
„Ja.“
„Haben die Japaner ihn umlegen lassen?“
„Wenn ich dir das beantworte, muss ich dich töten“, weiche ich einer Antwort aus, denn langsam aber sicher behagt mir unser Gespräch nicht mehr.
„Das wirst du doch sowieso, also kannst du es mir auch sagen.“
Whistler hat eine interessante Logik, das muss ich zugeben, aber sie bestätigt auch mein Unwohlsein. Ein seltsames Gefühl im Magen, das mich immer davor warnt, wenn etwas nicht stimmt, und hier stimmt eine Menge nicht. Trotzdem kann ich nicht einfach gehen. Genauso wenig kann ich es hinter mich bringen und ihn aus dem Weg räumen, was ich muss, weil er ein Zeuge ist. Ich kann es nur nicht. Weiß der Geier warum, aber ich bringe es nicht fertig, das Messer zu ziehen und zu tun, was ich tun muss.
„Er hat sie um Geld betrogen. Um viel Geld“, erzähle ich Whistler stattdessen, was er vermutlich längst weiß.
„Also ja“, meint er dazu und kratzt sich an der Nase.
Mir dämmert, was das hier werden soll, denn Whistler trauert nicht um seinen Vater. Ganz im Gegenteil. Rache war niemals der Grund für seine Suche nach mir. Es stellt sich nur die Frage, was er dann von mir will? Allerdings bin ich auch bei dieser Frage nicht sicher, ob ich eine Antwort darauf hören will.
„Es ist dir egal, dass er tot ist, nicht wahr?“
Whistler zuckt die Schultern. „Er war nie da.“
„Das ist kein
Weitere Kostenlose Bücher