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Mit der Linie 4 um die Welt

Mit der Linie 4 um die Welt

Titel: Mit der Linie 4 um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annett Groeschner
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die Stadt. Manchmal nehmen die Zürcher Wagen nach ihrem Ausscheiden aus dem Planbetrieb seltsame Wege. Die Anfang der fünfziger Jahre gebauten Trieb- und Beiwagen der Serie Ce 4/4, die auch auf der Linie 4 verkehrten, wurden 1995 nach vierzig Jahren nach Nordkorea verkauft. Dort werden sie in Pjöngjang auf der neuen drei Kilometer langen Zubringerlinie zum Gedenkmausoleum von Kim Il-sung eingesetzt. Nach Gnadenbrot wie bei den Pferden der Rösslitram hört sich das nicht an.
    Nächste Haltestelle ist der Hauptbahnhof. Die Fassade ist schon seit längerer Zeit hinter einem Gerüst versteckt. Es ist eine Eisenkonstruktion, die das Gebäude abstützen soll, denn unter dem Bahnhof wird ein Tunnel gebaut, und die Statiker befürchten, das Wasser der nahe gelegenen Sihl könnte in die Baustelle einbrechen. Die Bahn fährt scharf nach links. Dort kommt sie auf die Strecke der 1898 eröffneten elektrifizierten Industriequartier-Straßenbahn, die den Hauptbahnhof mit dem dicht besiedelten Industriegebiet und dem dahinterliegenden Escher-Wyss-Platz verband, wo sie bis heute ihr inzwischen mehrfach erweitertes Depot hat. Die IStB, wie diese Bahn abgekürzt wurde, fuhr die Arbeiter vom Kreuzungspunkt Hauptbahnhof in die Fabriken im Westen der Stadt. Jede vierte hatte Anschluss an das Weinbauerndorf Höngg auf der anderen Limmatseite, was vor allem an Sonntagen zu regem Ausflugsverkehr führte. 1902 kaufte die Stadt die Industriequartier-Straßenbahn und machte sie 1905 zur Linie 4. Vom Hauptbahnhof kommend, führt sie auch heute noch am Schweizerischen Landesmuseum vorbei bis zum Sihlquai und von dort aus die Limmatstraße hinunter. Hier stand das Autonome Jugendzentrum, das von der Stadt 1980 geschlossen und abgerissen wurde, während zur selben Zeit vom Stadtrat 60 Millionen Franken für den Umbau des Opernhauses genehmigt worden waren. Daraufhin kam es zu den sogenannten Opernhauskrawallen und in der Folge zu dem, was als »Züri brännt« in die Geschichte eingegangen ist – gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei. Als Kulturleichen verkleidet, schreckten die Autonomen damals das Zürcher Opernpublikum auf: »Der wühlende Stachel des Punk, Wände erzittern, Nachbarn werden aus den Betten vibriert, wilde Feste werden gefeiert und dem durchschnittlichen Straßenbahnbenutzer zieht es das Arschloch zusammen und sein Gesicht erstarrt zur säuerlichen Grimasse, wenn der erste gemeine Gitarrenriff dröhnt. Das ist sie, die Ouvertüre zu einer neuen Oper. Der Tanz der Kulturleichen.« Zwar gab es nach den Unruhen für einige Jahre ein paar Freiräume, wie die Rote Fabrik und einen autonomen Radiosender, aber Mangel an bezahlbarem Wohnraum und Drogenprobleme blieben, und aus dem Staat wurde alles andere als Gurkensalat. Auch wenn die Drogenszene heute vom Platz neben dem Hauptbahnhof verschwunden ist, als junger Mensch in Zürich eine Wohnung zu finden, ist inzwischen fast unmöglich, wenn man nicht einen Millionär zum Vater oder einen Beamtenjob hat.
    An der Haltestelle Museum für Gestaltung steht ein rauchender Guru. Bei zwei Grad Celsius ist er barfuß. Seine Bewegungen sind elegant, und ich erwarte, dass er gleich ein paar Flaschen aus seinem Rucksack holt, sie zerschlägt und lächelnd über die Scherben läuft, ohne sich dabei zu verletzen. Er steigt nicht in die Bahn ein, spricht aber jeden an, der aussteigt. Was er ihnen sagt, ist in der Bahn nicht zu verstehen. Am Limmatplatz steht ein Kleinbus mit der Aufschrift »Troubleshooter«. Sie sind die Allrounder des Betriebs: zuständig für das Beheben von Störungen, das Beseitigen von Dreck, das Kontrollieren von Fahrkarten oder die Unfallaufnahme, und manchmal müssen sie alles gleichzeitig machen.
    Hinter dem Limmatplatz, wo das Publikum nicht ganz so elegant wie am Limmatquai und auch nicht so blond ist, kann man auf die Hänge der anderen Limmatseite sehen, die so dicht bebaut sind, dass ich fürchte, der Berg kippe vielleicht eines Tages in die Limmat mitsamt den ganzen schönen weißen Häusern. Die 4 fährt unter dem Bahnviadukt hindurch, in dem es mittlerweile fast ausschließlich Boutiquen gibt, die ihre Waren lieber nicht mehr auspreisen. Mit der Unterquerung des Viadukts beginnt die Fahrt durch das Entwicklungsgebiet Zürich West, dem ehemaligen Industriequartier der Stadt, wohin die Fabrikanten Ende des neunzehnten Jahrhunderts aus der Innenstadt auswichen, weil sie ihre Betriebe vergrößern mussten, um konkurrenzfähig zu

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