Mit der Reife wird man immer juenger
Qual,
Und die Kette bricht.
Noch erscheinst du fremd und fern,
Lieber Bruder Tod,
Stehest als ein kühler Stern
Über meiner Not.
Aber einmal wirst du nah
Und voll Flammen sein –
Komm, Geliebter, ich bin da,
Nimm mich, ich bin dein.
E s hat bei mir in letzter Zeit einen starken Ruck getan. Das Altern und Verfallen geht, wie einst in jungen Jahren das Wachsen, in Schüben oder Rucken. Vielmehr: es mag seinen leisen ständigen Gang haben, den merkt man nicht, aber dann geht es zuweilen plötzlich wie im Sprung, und das merkt man sehr … Die Beschwerden wachsen und oft braucht es allen Beistand des Geistes, um standzuhalten.
(Aus einem Brief vom Januar 1962 an Felix Lützkendorf)
A n ReginaUllmann denke ich manchmal und stelle mir sie auf ähnliche Weise »beschäftigt« vor wie ich es bin und wie alle sehr alten Leute es sind: mit Schwächezuständen, mit Abschiednehmen, mit Verwelken. Das sind Vorgänge, die ebenso geleistet werden müssen, wie die des Wachsens und der Aktivität, und sie haben wie alle Lebensstufen zwei Gesichter: manchmal sind sie trist und schmerzlich, manchmal aber auch in positivem Sinn merkwürdig, ja heiter. So wechselt das mit den Tagen und Tageszeiten.
(Aus einem Brief vom März 1958 an Ellen Delp)
Einst vor tausend Jahren
U nruhvoll und reiselüstern,
Aus zerstücktem Traum erwacht
Hör ich seine Weise flüstern
Meinen Bambus in der Nacht.
Statt zu ruhen, statt zu liegen
Reißt michs aus den alten Gleisen,
Weg zu stürzen, weg zu fliegen,
Ins Unendliche zu reisen.
Einst vor tausend Jahren gab es
Eine Heimat, einen Garten,
Wo im Beet des Vogelgrabes
Aus dem Schnee die Krokus starrten.
Vogelschwingen möcht ich breiten,
Aus dem Bann, der mich umgrenzt,
Dort hinüber, zu den Zeiten,
Deren Gold mir heut noch glänzt.
B isher hatte ich den Tod wenig bedacht, nie gescheut, oft in verzweifelnder Ungeduld gewünscht. Erst jetzt sah ich ganz seine Wirklichkeit und Größe, wie er als Gegenpol da drüben steht und uns erwartet, damit ein Schicksal vollendet und ein Kreis geschlossen werde. Bisher war mein Leben ein Weg gewesen, bei dessen Anfängen ich viel in Liebe verweilte, bei Mutter und Kindheit, ein Weg, den ich oft singend und oft verdrossen ging und den ich oft verwünschte – aber nie war das Ende dieses Weges klar vor mir gestanden. Aller Antrieb, alle Kraft, die mein Dasein speiste, schien mir nur vom dunklen Anfang auszugehen, von Geburt und Mutterschoß, und der Tod schien mir nur der zufällige Punkt zu sein, wo diese Kraft, dieser Schwung und Antrieb einmal erlahmen und erlöschen würde. Jetzt erst sah ich die Größe und Notwendigkeit auch in diesem »Zufälligen« und fühlte mein Leben an beiden Enden gebunden und bestimmt und sah meinen Weg und meine Aufgabe, dem Ende entgegenzugehen als der Vollendung, ihm entgegen zu reifen und zu nahen als dem ernsten Fest aller Feste.
(Aus der Betrachtung »Zum Gedächtnis«, 1916)
W er den Weg der Reife einmal betreten hat, der kann nicht mehr verlieren, nur gewinnen. Bis einmal auch ihm die Stunde kommt, wo er die Käfigtür offen findet und mit einem letzten Herzklopfen dem Unzulänglichen entschlüpft.
(Aus der Betrachtung »Zum Gedächtnis«, 1916)
Kleiner Gesang
R egenbogengedicht,
Zauber aus sterbendem Licht,
Glück wie Musik zerronnen,
Schmerz im Madonnengesicht,
Daseins bittere Wonnen …
Blüten vom Sturm gefegt,
Kränze auf Gräber gelegt,
Heiterkeit ohne Dauer,
Stern, der ins Dunkel fällt:
Schleier von Schönheit und Trauer
Über dem Abgrund der Welt.
Nachwort
H ermannHesse gehört zu den Künstlern, die das Glück hatten, alt zu werden und somit alle Lebensstufen erfahren und auf charakteristische Weise darstellen zu können. Daß ein so kompliziertes und verletzbares Naturell, wie er es war, bei einem Leben von solcher Intensität und Produktivität als Schriftsteller wie als Maler (die 20bändige Gesamtausgabe umfaßt etwa 14 Tsd. Seiten, seine Korrespondenz ca. 35 Tsd. Schreiben und sein bildnerisches Werk etwa 3000 Aquarelle) das Alter von 85 Jahren erreichen würde, war keine Selbstverständlichkeit. Nimmt doch in der Regel mit der Begabung auch die Gefährdung zu und mit der Intensität die Kürze der Lebenserwartung. Denn meist bleiben diejenigen, die von der Norm abweichen und eigene, unabhängigere Wege einschlagen, angesichts der Hindernisse und Widerstände, welche die Mitmenschen ihnen entgegensetzen, weit früher auf der Strecke als andere, die sich mit »der Welt, wie sie nun einmal
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